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Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt

Während sich die Parteien in Verteilungskämpfen verstricken, die im Endeffekt immer nur die Ausweitung des Sozialbudgets zur Folge haben, wird das Entscheidende verspielt: die Zukunft unserer Jugend qua Verrottung unseres Bildungswesens. Das neue Buch von Josef Kraus „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt – Und was Eltern jetzt wissen müssen“, im Münchner Herbig Verlag erschienen, ist eine Kampfansage „Wider eine Bildungspolitik, die keine Probleme löst, sondern Probleme schafft“. Es folgen Auszüge aus dem Vorwort des Buches.

Dieses Buch ist keine Gebrauchsanleitung für die Zerstörung eines ehemals weltweit angesehenen Bildungswesens, sondern eine Untersuchung der Trümmer und Ruinen, die deutsche Bildungspolitik und deutsche Bildungswissenschaft mittels „Reformen“ hinterlassen haben.

Deutschlands Bildungsdebatten und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen haben sich schlicht und einfach zwischen „Pisa“ und „Bologna“ festgefahren. Das gilt zum einen für viele der „Pisa“-Kapitäne. Diese verkünden unbeeindruckt Einheits- und Gesamtschule. Ihre Destinationen lauten: Mit dem deutschen „Pisa“-Ergebnis sei zugunsten eines „gerechten“ Schulsystems „endlich“ der Jüngste Tag für das gegliederte, begabungs- und leistungsorientierte Schulwesen angebrochen. Die andere Cockpit-Vereinigung ist die der „Bologna“-Crew. An wunderbaren Destinationen fehlt es auch hier nicht: „Bologna“ samt Bachelor, Master, Workloads und Credit Points schaffe endlich Effizienz, Mobilität, Modularisierung, Kompatibilität, Praxistauglichkeit, „Employability“ und eine gewaltige Steigerung der Akademikerquote.

Die Folge ist eine Politik wider besseres Wissen und wider jede Vernunft. Da können Bildungsexperimente, die immer zugleich Experimente an Schutzbefohlenen sind, noch so krachend scheitern, sie werden dennoch durchgezogen oder - wie etwa im Fall der Gesamtschule mit ihrer durchschlagenden Erfolglosigkeit - in neuem Gewand unter dem Etikett „Gemeinschaftsschule“ präsentiert. Damit und mit kuriosen Lehrplanreformen kann man ein Schulwesen innerhalb einer einzigen Legislaturperiode, in diesem Fall innerhalb von fünf Jahren, an die Wand fahren. Baden-Württembergs grün-rote Regierung hat dies von 2011 bis 2016 vorexerziert. Das „Ländle“, das seit Jahren und Jahrzehnten bei allen Leistungsstudien immer zu den vier besten unter Deutschlands sechszehn Ländern gehörte, ist in kürzester Zeit vom Musterschüler zum Problemfall geworden. Zum Beispiel ist Baden-Württemberg bei Ländervergleich des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) bei den neunten Klassen von 2010 bis 2015, dem Zeitpunkt des Tests, von einem Spitzenplatz auf Platz 12 im Lesen und auf Platz 14 beim Zuhören gefallen.

Hier scheint zu gelten, was Peter Sloterdijk feststellte: „Macht ist das Vermögen, die Tatsachen in die Flucht zu schlagen.“ Zwei seiner großen Vorgänger hätten es kaum anders gesagt: "Denn so ist der Mensch! Ein Glaubenssatz könnte ihm tausendfach widerlegt sein - gesetzt, er hätte ihn nötig, so würde er ihn immer wieder für wahr halten" (Nietzsche). Oder: "Was dem Herzen widerstrebt, lässt der Kopf nicht ein.“ (Schopenhauer). Mit solchem „Bildungs“-Verständnis aber stolpern unsere ewig-morgigen bildungspolitischen Schlaumeier in die stets gleichen Fallgruben.

Die fünf Fallgruben

Eine Falle ist die Egalitäts-Falle. Das ist die Ideologie, dass alle Menschen, Strukturen, Werte, Inhalte, ja sogar alle Geschlechter, von denen es ja nicht nur zwei, sondern bis zu sechzig geben soll, gleich bzw. gleich gültig seien. Das ist auch die Ideologie, dass es keine verschiedenen Schulformen, keine verschiedenen Begabungen, keine verschiedenen Fächer sowie keine bestimmten Werte geben dürfe.

Eine zweite Falle ist die Hybris-Falle. Das ist der aus dem Marxismus („Der neue Mensch wird gemacht“) und dem Behaviorismus („Der neue Mensch ist konditionierbar!“) abgeleitete Wahn, jeder könne total gesteuert und zu allem „begabt“ werden.

Eine dritte Falle ist die Falle der Spaß-, Erleichterungs- und Gefälligkeitspädagogik. Diese tut - angestrengt und sehr bemüht - so, als ob Schule immer nur cool sein und alles tun müsse, dass sich Kinder nicht langweilen dürften.

Eine vierte Falle ist die Quoten-Falle. Das ist die planwirtschaftliche Vermessenheit, es müssten möglichst alle das Abitur-Zeugnis bekommen und es dürften möglichst wenig oder gar keine Schüler sitzenbleiben. Dabei müsste doch eigentlich klar sein: Wenn alle Abitur haben, hat keiner mehr Abitur!

Und schließlich fünftens die Beschleunigungs-Falle. Das ist die Vision, man könne mit einer immer noch früheren Einschulung in immer weniger Schuljahren und mit immer weniger Unterrichtsstunden zu besser gebildeten jungen Leuten und zu einer gigantisch gesteigerten Abiturienten- und Akademikerquote kommen.

Fünf Fallgruben sind das - je nach Bundesland unterschiedlich intensiv ausgeprägt! In diesen fünf Fallgruben drohen Individualität, Leistung, Anstrengungsbereitschaft, natürliche Reifung und Qualität zu versinken. Und so wird seit Jahrzehnten, verschärft seit dem groß inszenierten Pisa-Schock, drauflos re- und deformiert. Reformen über Reformen werden in den Sand gesetzt, ohne Produkthaftung von Seiten derjenigen, die all dies inszeniert haben. Dass die allermeisten Reformen eben gerade denen schaden, denen sie zugutekommen sollten, nämlich den sozial Schwächsten, wird verdrängt. Die Kinder aus „gutem“ Hause bekommen die Verirrungen der Schulpolitik durch elterliches Zutun kompensiert, die Kinder aus „bildungsfernen“ Elternhäusern aber bleiben in ihren „restringierten Codes“, in ihren Herkunftsmilieus eingekerkert. Das gilt für die Einheitsschule gleichermaßen wie für „neue“ Formen eines (sogenannten) Unterrichts, in dem der Lehrer nur noch den Moderator spielt.

Dazu kommt noch die Infantilisierung „progressiver“ Pädagogik durch Psychologisierung. Für die Psychologie und ihr Image ist dies nicht gut, denn vieles von dem, was an Psychologischem in die Pädagogik hereingenommen wird, ist triviale Alltagspsychologie und damit Banalisierung von Psychologie. Alle Pädagogik soll offenbar vom zerbrechlichen Kind, dessen permanenter Traumatisierbarkeit, dessen Gegenwartsperspektive und dessen unmittelbaren Bedürfnissen her gedacht werden. Dem Kind, dem Schüler soll nichts zugemutet werden, es könnte ja frustriert, demotiviert, ja traumatisiert werden. Dass man Kinder damit in einer Käseglocke und in einer ewigen Gegenwart einschließt und ihnen die Zukunft raubt, scheint nicht zu zählen. Statt ihnen etwas zuzumuten, weil man ihnen ja eigentlich mehr zutrauen kann, werden unsere Kinder von einem Teil der Eltern, den „Helikoptereltern“, rundum „gepampert“.

 
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