Mümis Bloghouse - Gäste Blog

Wie mein Vater den "Kaiser" aus New York nach Hamburg holte

Mein Vater behauptet, ohne ihn wäre Deutschland 1990 nicht Weltmeister geworden. Schließlich habe er dafür gesorgt, dass Franz Beckenbauer 1980 aus den USA zurückgekehrt ist. Und das kam so.

Als ich geboren wurde, war der Kaiser schon da. Genauer: Er war wieder da. Im Oktober 1980, ein halbes Jahr vor mir, war Franz Beckenbauer in Hamburg angekommen. Zurück in Deutschland von einem dreijährigen Engagement bei Cosmos in New York, wo er unter anderem mit Pelé zusammengespielt hatte.

Der Kaiser hatte einen Ehrenplatz in unserem Zuhause, solange ich denken kann. Auf einem Foto im Arbeitszimmer meines Vaters lächelt er meine Eltern freundlich und zugewandt an. Die Geschichte hinter dem Bild ist Familienfolklore. Ebenso wie Beckenbauers Besuche in unserer beschaulichen Heimatgemeinde Tangstedt und die Klassenfahrt meiner ältesten Schwester im HSV-Mannschaftsbus.

Als Teamchef Beckenbauer die deutsche Fußballnationalmannschaft zum WM-Titel 1990 führte, betonte mein Vater, dass dieser Triumph im Grunde ihm zu verdanken sei. Nach dem Finalsieg gegen Argentinien schritt der Kaiser nur dem Anschein nach allein im Halbdunkel über den Rasen des Olympiastadions von Rom. Eigentlich ging mein Vater neben ihm. Zumindest im Geiste.

»Ohne mich«, so sagt mein Vater bis heute, »wäre das alles nicht möglich gewesen. Denn ich habe Beckenbauer zurück nach Deutschland geholt.«

Das Imageproblem der Mineralölbranche

Das erste Mal kreuzten sich die Wege der beiden, als der Kaiser gar nicht dabei war. Bei einem Strandurlaub in Tunesien im Sommer 1968, so erinnert sich mein Vater, seien meine Eltern als deutsche Touristen aufgefallen und von Kindern angesprochen worden. Und zwar mit dem mutmaßlich einzigen deutschen Wort, das sie kannten: »Beckenbauer! Beckenbauer!«

Da sei meinem Vater bewusst geworden, welche Strahlkraft der damals erst 22-jährige »Kaiser« hatte, obwohl er noch ganz am Anfang seiner Weltkarriere stand. Zwei Jahre zuvor hatte Beckenbauer bei der WM in England offensichtlich bleibenden Eindruck hinterlassen.

Zu dem Zeitpunkt arbeitete mein Vater schon bei der Deutschen BP AG, später wurde er Leiter der Bereiche Wirtschafts- und Energiepolitik sowie Öffentlichkeitsarbeit. Nun waren die Siebzigerjahre nicht die beste Zeit für ein solches Amt in der Mineralölindustrie: Jom-Kippur-Krieg, Islamische Revolution, Ölpreiskrise.

Wenn mein Vater daran zurückdenkt, spricht er davon, dass seine Chefs »jeden Abend in der ›Tagesschau‹ als Kriminelle verunglimpft« worden seien. Anders formuliert: Die Branche hatte ein Imageproblem. Und der Job meines Vaters sei es gewesen, dieses Problem zu löse

Da kam es ihm gelegen, dass 1977 Verantwortliche des Hamburger SV bei BP vorstellig wurden, um die Möglichkeiten eines Sponsorings auszuloten. Der Verein hatte gerade Kevin Keegan vom FC Liverpool verpflichtet, sich damit finanziell übernommen und brauchte dringend Geld. Ein britisches Unternehmen mit deutschem Sitz in Hamburg und ein britischer Fußballheld, der in Hamburg gelandet war – das schien zusammenzupassen.

Die BP-Führung sei zwar zunächst dagegen gewesen, so erinnert sich mein Vater. Aber mit einem findigen Team aus PR- und Werbestrategen gelang es, die Unternehmensspitze davon zu überzeugen, Keegan zur Hauptfigur einer Imagekampagne zu machen. Aus der »Mighty Mouse« wurde »Super-Kevin«, der sich anschickte, mit grünem Ganzkörperanzug und BP-Logo auf der Brust die Welt zu retten. Der Slogan: »Stopp den Energie-Galopp!« Und leider kann ich mir vorstellen, wie mein Vater in einem Meeting mit den verantwortlichen Textern saß und sagte: »Ja, das ist gut!«

Er spricht immer noch stolz davon, dass ausgerechnet ein Mineralölkonzern für Umweltschutz durch aktives Energiesparen warb. Man kann das als sehr fortschrittlich und weitsichtig bezeichnen – oder als frühe Form des Green- und Sportswashings. Vermutlich stimmt beides.

Die Kampagne wurde zum erhofften PR-Coup für BP, und Keegan führte den HSV 1979 zur deutschen Meisterschaft. Da auch der sportliche Erfolg positiv auf die Marke einzahlte, hatte sich der Deal aus Sicht meines Vaters gleich doppelt gelohnt. Doch 1980 verließ Keegan den HSV.

»Wir holen Beckenbauer!«

Was damals geschah, daran erinnert sich mein Vater so: »Günter Netzer war damals Manager. Der kam zu mir und sagte: Wenn wir weiter erfolgreich sein wollen, brauchen wir einen neuen Star. Wir holen Beckenbauer!«

Meinem Vater habe die Idee gefallen, schließlich erinnerte er sich an die Kinder am tunesischen Strand. Doch trotz der positiven Erfahrung mit Keegan habe die BP-Spitze zunächst erneut abgelehnt. Man könne doch einem Millionär nicht weitere Millionen hinterherwerfen, habe sein Chef Hellmuth Buddenberg gesagt. Gerade mit Blick auf den nach wie vor großen öffentlichen Druck sei das ausgeschlossen. Die Menschen würden das nicht verstehen.

Buddenberg lag wohl nicht ganz falsch. Im Februar 1981 zitierte das »Hamburger Abendblatt« den Tankstellenpächter Erich Seile mit den Worten: »Meine Kunden fragen schon mal, ob das wohl der Beckenbauer-Pfennig sei, wenn wieder mal die Preise erhöht worden sind.«

Doch zum Glück, so erzählt es mein Vater, seien nicht nur der damalige BP-Finanzchef Walter Kirsten, sondern auch Buddenbergs Frau auf seiner Seite gewesen. Und so kam es, dass mein Vater einen Brief an Beckenbauer nach New York schickte, mit dem er ihn zu Verhandlungen nach Hamburg einlud. »Ich habe die Einladung schon länger nicht mehr in der Hand gehabt«, sagt mein Vater. »Aber ich habe sie noch irgendwo.«

Der bescheidene Kaiser

Wie viel Geld damals genau floss, wisse er zwar noch, dazu wolle und könne er sich aber nicht äußern, sagt mein Vater. Das habe er damals nicht getan und werde es jetzt nicht ändern: »Dass Unternehmen Spielergehälter und Transfers finanzieren, ist ja so eine Sache.«

Aber er erinnert sich, wie zurückhaltend und bescheiden Beckenbauer bei persönlichen Begegnungen aufgetreten sei. Um alles Geschäftliche habe sich immer Robert Schwan gekümmert. Wenn Beckenbauer doch mal zu einem Meeting geladen war, habe man ihn überreden müssen, sich mit an den Tisch zu setzen. Er habe immer in der zweiten Reihe Platz nehmen wollen.

Obwohl er zu dem Zeitpunkt ja schon Weltmeister, Ehrenspielführer der Nationalmannschaft und eine lebende Legende war, habe er keinerlei Starallüren gehabt. Stattdessen sei der Kaiser stets offen, höflich und zugänglich gewesen, so erinnert sich mein Vater. »Eher ein sich unterordnender Mitspieler als der alles überstrahlende Kapitän.«

Die BP machte Beckenbauer zum Gesicht der Kampagne »Jugend und Sport«. Mit einem Team von Jugendtrainern, Betreuern und Physiotherapeuten tingelte er zu kleinen Sportvereinen im Hamburger Umland. So kam es auch zum Auftritt in unserem Heimatort beim WSV Tangstedt. »Davon sprechen die heute noch«, sagt mein Vater. »Also diejenigen, die alt genug sind, sich daran zu erinnern.«

Außerdem habe Beckenbauer im Rahmen der Kampagne soziale Einrichtungen wie die Jugendstrafvollzuganstalt Hahnöfersand und die Alsterdorfer Anstalten besucht. Der Termin in der Pflegeeinrichtung habe ihn so nachhaltig beeindruckt, dass er nach Ende seiner aktiven Karriere 1982 in Hamburg die Franz-Beckenbauer-Stiftung gründete, die sich unter anderem für Menschen mit Behinderung einsetzt.

In Franz Beckenbauers Leben waren Hamburg und die BP nur eine von vielen Episoden. Genauso war Franz Beckenbauer nur eine Episode im Leben meines Vaters. Aber eine, von der er nach wie vor gern spricht und an die er sich bemerkenswert gut erinnert. Mein Vater wird in diesem Jahr 87. Franz Beckenbauer ist am Sonntag gestorben .

 

Malte Müller-Michaelis
erschienen in SPIEGEL online 9. Januar 2024

 
-->