MüMis Bloghouse

Zielvorgabe 2018 - Orientierung am wahren Wählerwillen

Immer häufiger taucht in politischen Diskussionen der Begriff Individualisierung auf. Mit ihm sollen offenbar Auflösungserscheinungen unserer Gesellschaft belegt werden, deren Wohlergehen in früheren Zeiten als Erleben von Gemeinschaft im Sinne kultureller, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit empfunden wurde. So wie es der Widmung unter der Kuppel des Reichstages „Dem deutschen Volke“ entsprach und wie es in vielfältigen Bezugnahmen unseres Grundgesetzes sowie in der Eidesformel des Bundeskanzlers bzw. der Bundeskanzlerin, „Dem Wohle des deutschen Volkes zu dienen“ Ausdruck findet.

Individualisierung im hier verstandenen Sinne ist demnach eine Art Gegenentwurf zu dem als nicht mehr gültig empfundenen Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsprivileg, wie es eigentlich in der Verfassung verbrieft ist und dessen Entzug man mit selbstbestimmtem Zurechtfinden in einer zunehmend verfremdeten, multikulturell geprägten und multiethnisch zusammengesetzten Alltagswelt zu kompensieren sucht.

Zum besseren Verständnis dieses gesellschaftlichen Wandels von der tradierten „Volksgemeinschaft“ zum Einzelgängertum unserer Tage ist es hilfreich, sich der Bestimmungsfaktoren dieser Entwicklung zu vergewissern: der an der Jahrhundertwende zusammentreffenden Umbruchtriade von Globalisierung in der Wirtschaft, Digitalisierung in der Technik und demographischer Schere in der Gesellschaft. Jeder einzelne dieser Umbrüche hätte für sich genommen ausgereicht, die Menschen aus ihrem gewohnten Lebensrhythmus herauszureißen. Alle zusammen haben mit der Intensität der durch sie bewirkten Veränderungen die Verhältnisse in bisher nicht erlebter Weise durcheinandergewirbelt.

Das hat zu Überforderungsängsten der Menschen geführt, die durch den Mangel eines früher gekannten, die Bedrängnisse abfedernden kollektiven Bewusstseins noch verstärkt wurden. In Zeiten eines derart umstürzenden Epochenwandels ist eine starke politische Führung gefragt. Erst in der Rückschau betrachtet wird offensichtlich, welches Glück wir Deutschen nach Ende des schrecklichen „Dreißigjährigen Krieges der Neuzeit“ (Ernst Nolte) hatten, als es galt, dem materiell und moralisch zerstörten Land wieder auf die Beine zu helfen.

Mit den Bundeskanzlern Adenauer und Erhard in der Aufbau- und Westbindungsphase der alten Bundesrepublik, mit Willy Brandt und Helmut Schmidt in der vom Ende der 60er bis Anfang der 80er Jahre dauernden Konsolidierungs- und Öffnungsphase gegenüber dem Osten und mit Helmut Kohl und Gerhard Schröder in den die Wiedervereinigung gestaltenden gut zwei Jahrzehnten verfügte Deutschland durchgehend über eine politische Führung, die sich als lagerübergreifend durch ein hohes Maß an Stabilität auszeichnete.

Je mehr den Deutschen durch Nazizeit und Weltkrieg ihr National- und Geschichtsbewusstsein abhanden gekommen war, desto stärker klammerten sie sich an eine wiederaufzubauende staatliche Ordnung, die dem persönlichen Schicksal jenen übergeordneten Halt vermittelte, der das eigene Anpacken mit dem der anderen verband und auf diese Weise das Wirtschaftswunder hervorbrachte.

So reifte von der Adenauer- bis zur Schröderzeit die politische Grundüberzeugung, dass es angesichts einer nach wie vor von Unsicherheit und Kriegen durchzogenen Welt darauf ankam, sich für das eigene Fortkommen auf den Schutz geordneter Staatlichkeit verlassen zu können. Diese Orientierung ist seit dem September 2015 abhanden gekommen, wo eine kurzzeitig erforderliche nationale Hilfsaktion zur Aufnahme von Flüchtlingen der Bundesregierung anschließend aus den Händen glitt, weil ihr – wie von Bundeskanzlerin Merkel mehrfach bekundet – das Diktum geordneter Staatlichkeit als nicht mehr zeitgemäß erschien.

Die vorübergehende Außerkraftsetzung staatsrechtlicher Prinzipien wie Sicherung der Staatsgrenzen, geordnete Einwanderung und Einhaltung der verfassungsrechtlichen Normen im Asylverfahren, verbunden mit dem falschen und fahrlässigen Signal an die Unruhegebiete der Welt, dass ausgerechnet Deutschland als am dichtesten besiedeltes Flächenland Kontinentaleuropas ein Einwanderungsland mit unbegrenzter Aufnahmekapazität sei, hat mit seinen absehbaren Folgewirkungen schon nach zwei Jahren zu grundlegenden Störungen und Verwerfungen in weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens geführt:

  • kriminelle Auswüchse in Drogenhandel und Prostitution, bei Einbrüchen und alltäglicher Gewalt im öffentlichen Leben
  • Antisemitismusimport infolge des unkontrollierten Hereinlassens gewaltbereiter Muslime, der sich nicht nur als Gefährdungspotential für jüdische Mitbürger sondern oft auch als Hebel für antideutsche Propaganda im In- und Ausland erweist
     
  • unzumutbare Beeinträchtigung der Unterrichtsverhältnisse für einheimische Schüler sowie unerträgliche Behinderungen der Berufsausübung für Lehrer in Ballungsräumen wegen zu hoher Anteile (nicht nur im Saarland mit rekordverdächtigen 86 Prozent) von Migrantenschülern ohne ausreichende Deutschkenntnisse
     
  • Lahmlegung der Justiz überall dort, wo die Rechtswege der ordentlichen Gerichtsbarkeit für die einheimische Bürgerschaft durch die Antrags- und Beschwerdeflut im Zuge der ins Absurde hochgeschnellten Asylverfahren blockiert sind
     
  • Ärgernis ungehobelten, oft auch provozierenden Verhaltens meist jüngerer Migrantengruppen im öffentlichen Raum (in bestimmten Stadtquartieren und U-Bahn-Linien), die den Einheimischen das Gefühl vermitteln, statt in gewohnten Lebensumständen beheimatet, fremdartiger Belästigung ausgeliefert zu sein.


Es ist das Zusammentreffen vom Verlust kollektiver „behüteter“ Lebensformen in tradierten Gemeinschaften einerseits mit dem Ausgeliefertsein an zunehmende Überfremdung der einst als heimisch empfundenen Lebensumstände andererseits, das die Überforderungsängste der Bürger hervorgebracht hat. Genau dieser individuell empfundene „clash of cultures“ ist es, der die Menschen weit mehr bewegt als das allseits bemühte wirtschaftliche Wohlergehen, das angeblich für allgemeine Zufriedenheit sorgt.

Dass diese Ängste sich nicht nur hierzulande sondern europaweit (und nicht nur in Osteuropa!) ausgebreitet haben, bezeugt die katholische französische Zeitung „La Croix“, wenn sie schreibt: „Man muss die Weitsicht haben anzuerkennen, dass die Furcht vor der Einwanderung die Bewohner des Kontinents in den vergangenen Jahren erschüttert und die Furcht vor einem Verlust ihrer kulturellen und religiösen Identität genährt hat.“ Es ist daher nicht vordergründig die Flüchtlingskrise sondern eine durch sie ausgelöste Identitätskrise, die die Menschen nicht nur in Deutschland sondern in ganz Europa erfasst hat und nach neuen politischen Antworten sucht.

Dass der Bundeskanzlerin, die oft genug betont hat, dass sie sich keines Fehlverhaltens in ihrer Amtsführung bewusst ist, der Lösungsweg verschlossen bleiben muss, hat ungewöhnliche, bisher nicht gekannte Reaktionen in der politischen Debatte ausgelöst. Nachdem die drei das politische Spektrum weitgehend abdeckenden Blätter FAZ, Welt am Sonntag und SPIEGEL mit Abrechnungen bzw. Rückblicken auf die Regierungszeit der Bundeskanzlerin vorgeprescht sind, hat auch einer der CDU-Granden, der jüngst gegen den Willen Angela Merkels zum Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung gewählte ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert die (angemessen dementierte) Katze aus dem Sack gelassen. Er geht offenbar, wie weite Teile der SPD-Führung davon aus, dass es die Person der Bundeskanzlerin ist, die als eigentliches Hindernis für die Fortsetzung der Großen Koalition gilt. Und er vermutet für die mit einiger Wahrscheinlichkeit 2018 anstehenden Neuwahlen, die ein ähnliches Ergebnis wie 2017 ergeben würden, dass die CDU nicht wieder mit der Kanzlerkandidatin Angela Merkel in die anschließenden Koalitionsverhandlungen gehen wird.

In dieser Zeit der Suche nach einer neuen verlässlichen Führung in Deutschland, während der in großen Teilen der CDU „Schweigen im Walde“ herrscht und aus den anderen etablierten Parteien nur unartikuliertes Hintergrundrauschen vernehmbar ist, tritt überraschenderweise als einer der wenigen Spitzenpolitiker der amtierende Außenminister Sigmar Gabriel auf den Plan, der Morgenluft witternd den richtigen Ansatz für einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden zu haben scheint (SPIEGEL 51/2017).

Mit einer Anleihe an Christian Andersens Parabel von des „Kaisers neuen Kleidern“ zerreißt er die ideologischen Schleier, die die Sicht auf das Wesentliche verdecken und fordert seine politischen Mitkombattanten auf, die Dinge endlich mit den Augen der Wähler zu betrachten, die beiden Volksparteien im letzten Herbst eine historische Abfuhr erteilten: „Die offenen Grenzen von 2015 stehen in Deutschland für nicht wenige Menschen als Sinnbild für die Extremform von Multikulti, Diversität und Verlust jeglicher Ordnung.“

Die Sehnsucht nach einer „Leitkultur“ angesichts der weitaus vielfältigeren Zusammensetzung unserer Gesellschaft als von manchen Protagonisten offener Grenzen zugegeben sowie der Wunsch nach sicherem Grund unter den Füßen, der sich noch immer mit dem Begriff „Heimat“ verbindet, sollte von der politischen Führung des Landes nicht nur verstanden sondern konsequent in politisches Handeln umgesetzt werden. Welch besseres Rahmenthema für die Agenda der laufenden Sondierungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung als dieses könnte es geben?

 
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