MüMis Bloghouse

Streit um die "schwarze Null"

Angela Merkel kann als gelernte Naturwissenschaftlerin nicht für sich in Anspruch nehmen, über die Kompetenz einer ausgewiesenen Wirtschaftsexpertin zu verfügen. Sie hat aber oft genug unter Beweis gestellt, dass das Wissen um die Gesetze der Physik durchaus hilfreich sein kann, auch in der komplexen Welt der Ökonomie den Überblick zu behalten. Als sie in den Turbulenzen der griechischen Schuldenkrise auf Lösungswege angesprochen wurde, traf sie mit der (ökonomischen) Weisheit der schwäbischen Hausfrau den Nagel auf den Kopf, indem sie auf die (physikalische) Regel verwies, dass Überlast unweigerlich den Untergang zur Folge habe: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.

Die Probleme, mit denen sich Politik unentwegt herumzuschlagen hat, bestehen nicht zuletzt darin, dass Leute, die über die Erkenntniskraft von Physikern oder Ökonomen verfügen, nur eine klitzekleine Minderheit ausmachen. Bei der übergroßen Mehrheit derer, die an wichtigen Entscheidungsprozessen qua Wahlen zum oder qua Abstimmung im Parlament bzw. qua Kommentar in den Medien teilnehmen, besteht in dieser Hinsicht leider oftmals Fehlanzeige. Für sie gilt der Satz, der weder aus der Physik noch aus der Ökonomie stammt, dass Unwissenheit und Phantasie zwei gefährliche Schwestern sind.

An diesen Aphorismus wird man beim Plädoyer Jakob Augsteins gegen den „Irrsinn der schwarzen Null“ in seiner SPIEGEL-Kolumne (42/2014) erinnert, dem man Leidenschaft sicher nicht absprechen kann; Sachverstand und intellektuelle Redlichkeit dafür umso mehr. Dass Augstein den Verweis der Bundeskanzlerin auf die schwäbische Hausfrau von „bemerkenswerter Schlichtheit“ findet, mag noch hingehen. Dass er aber den Hausfrauen generell die Fähigkeit zum ordentlichen Haushalten abspricht, macht zumindest stutzig. Zumal er hinter der Abneigung Angela Merkels gegen das Schuldenmachen den genealogischen Umstand vermutet, dass sie eine Pastorentochter ist und ihre Gläubigkeit sie eher disqualifiziere, eine in seinem Sinne zielführende Politik zu machen: statt schwarze Nullen anzustreben, es lieber bei der bequemeren Hinnahme roter Zahlen zu belassen.

Man könnte diese Argumentation als kabarettreif abtun, wäre sie nicht todernst gemeint. Und spiegelte sich in ihr nicht das Credo der Vereinten Linken von SPD-Vize Ralf Stegner bis zum EZB-Chef Mario Draghi, dass die deutsche Regierung mit ihrer Prioritätensetzung bei der Haushaltssanierung nicht nur das eigene Land „kaputtspare“ sondern auch das europäische Haus auseinandersprenge.

Fragt man nach den Gründen für die Heftigkeit und Unversöhnlichkeit der finanzpolitischen Debatte, kommt man an den divergierenden politischen Weltsichten der Protagonisten hier wie dort nicht vorbei. Den Alt- und Neomarxisten, deren Modell der kollektivistischen Planwirtschaft 1989 krachend im Orkus der Geschichte verschwand, stehen die Alt-, Neo- und Sozialliberalen gegenüber. Ihnen wird von den ersteren vorgeworfen, dass auch ihr Modell des Marktes mit der Finanzkrise von 2007 ff. seinen Kredit verloren habe, das überlegene, allzeit funktionsfähige Wirtschaftssystem dieser Welt zu sein.

Nicht von ungefähr führt Jakob Augstein die von ihm konstatierte „Heidenangst vor dem Schuldenmachen“ auf das angebliche Scheitern des Marktsystems in der Finanzkrise zurück. Er nennt es irreführend, in diesem Zusammenhang das Wort Schuldenkrise zu gebrauchen. Stattdessen habe der liberale Bankensektor seine Rolle als Motor des Marktsystems verspielt. Eine Begründung für seine steile These gibt der Systemkritiker freilich nicht. Als Nicht-Ökonom dürfte sie ihm auch schwerfallen, gibt er doch mit seinem Deutungsversuch zu erkennen, dass er mit dem Geschäft der finanzwirtschaftlichen Analyse einigermaßen auf Kriegsfuß steht.

Richtig ist, dass die bisher größte Finanzkrise dieses Jahrhunderts mit der Krisenphase 1.0 im US-amerikanischen Bankensektor begann, als dort von einigen Banken faule Immobilienkredite mit Bonitätspapieren zu hochverzinslichen Derivaten verbrieft und in den Handel gebracht wurden. Das Überschwappen des Vertriebs dieser vergifteten Papiere auf Europa brachte zusammen mit dem Einbruch am amerikanischen Immobilienmarkt nicht nur Hunderttausende von Anlegern um ihre Ersparnisse sondern auch etliche Banken wie Lehman Brothers um ihre Existenz. Die von betrogenen Gläubigern als Folge dieser Skandale vor amerikanischen Gerichten ausgefochtenen Prozesse machen deutlich, dass es sich hier nicht um ein Versagen des Bankensystems sondern um ungesetzliche Machenschaften der angeklagten Banken handelt.

Was die Finanzkrise in der Krisenphase 2.0 zu einer sowohl die EU als auch den Euro gefährdenden Dimension eskalieren ließ, hatte indessen nichts mit Regelverstößen von Banken zu tun. Hier ging es und geht es bis heute um das eklatante Versagen einer Reihe von Staaten der Euro-Zone, ihre Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen. Wegen nachhaltig mangelnder Wettbewerbskraft den Anforderungen einer Mitgliedschaft im Euro-Währungsverbund nicht gewachsen, gerieten diese Staaten in eine Überschuldungskrise, die von deren nationalen Banken allein nicht mehr zu bewältigen war.

Konkret waren sie nicht mehr in der Lage, ihre Schulden zu bedienen, so dass im Zusammenwirken der solventen Euro-Staaten und unter Bruch europäischer Verträge mehrere Rettungsschirme installiert werden mussten, um den Staatsbankrott abzuwenden. In Teilen der europäischen Öffentlichkeit ist diese gigantische Rettungsaktion fälschlicherweise als politisch fragwürdige Hilfsaktion zugunsten der Gläubigerbanken wahrgenommen worden, wie man es nicht nur an den empörten Einlassungen von Jakob Augstein ablesen kann. Tatsächlich sind es aber die überschuldeten Staaten gewesen, die mit diesen Finanzmitteln ausgestattet werden mussten, damit sie ihre Zins- und Tilgungslasten gegenüber den Banken abtragen konnten.

Statt sie nach diesem Desaster zur Umkehr und zum Maßhalten, d.h. zu stabilem Finanzgebaren zu rüsten, wird von der Europäischen Zentralbank alles getan, um den Schuldnerländern mit rigoroser Niedrigzinspolitik das weitere Schuldenmachen noch zu erleichtern. Dass die Rechnung dieser Politik des billigen Geldes den europäischen Bürgern mit erheblichen Einbußen auf ihren Sparbüchern sowie in ihrer Altersversorgung präsentiert wird, ist schon schlimm genug. Der Ansage eines Wirtschaftskrieges der Süd- gegen die Nordstaaten der EU aber kommt es gleich, wenn zu den Rettungsschirmen und den Zinsstrafen gegen die Sparer auch noch die Ankündigung von EZB-Präsident Draghi kommt, die Schuldenpolitik der Südländer mit dem vertragswidrigen Ankauf wertloser Staatsanleihen (OMT) fördern zu wollen.

Kein Wunder, dass zahlreiche Verfassungsbeschwerden gegen das OMT-Programm vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verhandelt werden. Man mag fragen, wie das Verfahren wohl ausgehen wird, wenn mit dem beklagten EZB-Präsidenten ein Italiener auf einen Griechen als Vorsitzenden Richter trifft.

 
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