MüMis Bloghouse

Abrüstung in der Asyldebatte tut not

Zu Beginn vorigen Jahres, vor dem Aufflackern der Ukraine-Krise, waren die Europäer noch in dem Bewusstsein vereint, dass sie trotz aller Querelen um Eurozwist und alltägliche Nachbarschaftsprobleme das Glück hatten, seit 70 Jahren im Frieden zu leben.

Plötzlich und unerwartet hat sich die Vorstellung, dass der Frieden nun endgültig auf unserem über die Jahrhunderte kriegswund geschlagenen Kontinent eingekehrt sei, als Illusion erwiesen: mit dem Aufstand auf dem Kiewer Maidan praktisch zum hundertjährigen Jubiläum des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs Mitte 2014 sowie mit den islamistischen Terroranschlägen in Paris am 7. Januar 2015.

Beide Krisenkomplexe unterscheiden sich darin, dass der Ukrainekonflikt europäischer und die islamistischen Terroranschläge weltweiter Natur sind. Gemeinsam ist ihnen, dass sie uns mit hoher Wahrscheinlichkeit von nun an noch lange beschäftigen werden. So ist es ein Gebot der Vernunft, so früh wie möglich nach Wegen zu suchen, mit dieser neuen Herausforderung auf eine Weise umzugehen, die uns unsere Rechtsordnung und unser zivilisatorischer Status gebieten und ermöglichen.

Das gilt aus europäischer und deutscher Sicht vor allem für den Umgang mit der Bedrohung durch den Islamismus, gegen den selbstverständlich auch die bei uns lebenden Muslime zu schützen sind und der nach einem Wort des jüngst verstorbenen Schriftstellers Ralph Giordano das zentrale Problem des 21. Jahrhunderts sein wird. Was spricht angesichts dieser Perspektive dagegen, sich als verbindliche Verhaltensnorm des politischen Diskurses auf diese Grundregel zu einigen: Argumente der Gegenseite so lange zu ertragen und zu respektieren, solange diese unbegleitet von Gewalt sowie ohne Nötigung oder Beleidigung des Anderen vorgebracht werden?

So einleuchtend und selbstverständlich diese Regel den meisten erscheinen mag, ist doch ihre unentwegte Nichteinhaltung der eigentliche Grund dafür, dass so viel Unfrieden und Hass bis zu lebensbedrohenden Angriffen das Zusammenleben nicht nur in unserer Gesellschaft sondern auch im Verhältnis vieler Länder zueinander immer mehr bestimmen. Die Pariser Anschläge vom 7. Januar 2015 waren bei aller herzzerreißenden Tragik für die Mordopfer, ihre Familien und Freunde auch ein trauriges Beispiel dafür, dass die beschriebene Grundregel des fairen Miteinander  in einer multikulturellen Gesellschaft von den Redakteuren des „Charlie Hebdo“ bewusst missachtet wurde, ohne dass mit dieser Ableitung von Ursache und Wirkung eine Rechtfertigung der feigen Mordtaten verbunden wäre.

Auch wenn als verbindliches Element der Trauerfeiern in Paris und in aller Welt das gedruckte Motto „Je suis Charlie“ die mediale Berichterstattung bestimmte, hat es viele Gedenkveranstaltungen nicht nur in muslimischen Ländern, auch hierzulande gegeben, die mit der Begründung auf das Zeigen oder Benennen des populären Mottos verzichteten, dass die Verletzung religiöser Gefühle Andersgläubiger keine Lappalie sondern (auch nach deutschem Recht) sogar ein Strafrechtsbestandteil sei.

Bei aller Achtung der Meinungs- und Pressefreiheit, die Satire eingeschlossen, hat auch Papst Franziskus angemahnt, dass Freiheit ohne Beleidigen möglich sein müsse und dass in recht verstandener Freiheit immer auch Verantwortung einbeschlossen sei. Wer beleidigt, was anderen heilig ist, müsse mit entsprechenden Reaktionen rechnen. Daher habe er Verständnis für den Zorn der Muslime. Auch der Professor der Prager Karlsuniversität Tomás Halik sieht einen den gesellschaftlichen Frieden störenden Widerspruch darin, dass in Frankreich einerseits die Schüler weder muslimisches Tuch noch christliches Kreuz oder jüdische Kippa tragen dürfen, damit „die Muslime nicht entrüstet würden“, andererseits aber eine die Muslime entrüstende Zeitschrift als heiliges Symbol der französischen Kultur gepriesen wird.

Während in Frankreich eine im Reflex zu fortgeschrittener Islamisierung den Islam absichtlich verunglimpfende Zeitschrift zu heldenhaftem Ruhm gelangen kann, wird in Deutschland eine über derartige Entwicklungen besorgte Bürgerbewegung, die auf strikte Gewaltlosigkeit und auf Bewahrung von Rechtstaatlichkeit setzt, des politischen Radikalismus bezichtigt. Und das vor allem von Regierung, Parteien und Medien, die offenbar über kein Sensorium für die Ängste jener Bürger verfügen, die in einer nun wirklich besorgniserregenden Lage ihr Recht auf freie Meinungsäußerung beanspruchen.

Wenn sich Polit- und Medienprofis in arroganter Abgehobenheit im Beschimpfen und Verunglimpfen einfacher Bürger überbieten, die sich in zum Teil unbeholfener und die Formen politischer Korrektheit verfehlender Weise zu Wort melden, ist das für den Zustand unserer politischen Kultur viel problematischer als es die Bürgerproteste für sich genommen je sein könnten. Ob der Name „Pegida“ oder Protestrufe wie „Lügenpresse“ – es handelt sich um Formen des Aufbegehrens, die trotz ihrer Laienhaftigkeit und Ungenauigkeit der Wortwahl von denen richtig verstanden werden, die erkannt haben, worum es den Protestlern tatsächlich geht. So, wenn Roman Leick im SPIEGEL in seiner Rezension von Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ auf die Verhältnisse in Frankreich reflektierend zur Sache kommt: „Die linksliberalen Medien – also fast alle – und die Politiker verschweigen die Zusammenstöße, um die Unruhen nicht noch weiter anzuheizen.“

Etwas mehr Ehrlichkeit, etwas weniger parteipolitische Taktiererei und bitte auch erheblich weniger Heuchelei würde der politischen Diskussion um Zuwanderung und Islamfurcht auch in Deutschland gut tun. Es ist nun einmal so, dass nach einer ZDF-Umfrage die öffentliche Meinung zur Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“ gespalten ist: 50 Prozent stimmen dem zu, 50 Prozent lehnen es ab. Keine Schönrederei hilft darüber hinweg, dass laut einer Bertelsmann-Studie, die vor dem Charlie-Hebdo-Anschlag erhoben wurde, 57 Prozent der nichtmuslimischen Bevölkerung in Deutschland den Islam als Bedrohung ansehen. Selbst nach einer Umfrage der ZEIT unterstützen 30 Prozent der Bevölkerung Pegida „voll und ganz“, 19 Prozent „eher ja“, 26 Prozent „teilweise“ und nur 23 Prozent „gar nicht“.

Wie sich der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn bei Günter Jauch am 18. Januar 2015 aus diesem Befund eine 75prozentige Ablehnung der Pegida-Bewegung in der deutschen Bevölkerung zurechtrechnete, bleibt sein Geheimnis. Es erklärt aber einmal mehr den Unmut der Gescholtenen darüber, mit unredlichen Mitteln zu einer den tonangebenden Politikern und Medien genehmen politischen Meinungsrichtung genötigt zu werden.

Die gute Nachricht in dieser verworrenen Lage besteht darin, dass wir mit der eingangs gefundenen Diskursregel des „Fair Play“ zumindest den Ansatz einer Lösung zu unserer Verfügung haben. Setzen wir uns zusammen, wie es der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen, Frank Richter, bereits praktiziert. Und kommen wir bei gutem Willen aller Beteiligten zum Ergebnis, dass uns beim Bewahren unseres gemeinsamen Wertekanons nach wie vor alles in allem mehr eint als trennt.  

 
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