MüMis Bloghouse

"Europas Draghik" - Wirtschaftskrieg Süd gegen Nord

Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner sieht hin – das Brechtsche Wort in leichter Abwandlung auf die aktuelle Situation in Europa gemünzt: nicht etwa auf den Bürgerkrieg in der Ostukraine sondern auf den in seiner gesamtpolitischen Wirkung viel tiefergreifenden Wirtschaftskrieg der Süd- gegen die Nordstaaten der Europäischen Union weiland 2015.

Ein Krieg, der statt mit Panzern und Raketen mit Geldbomben aus schnelllaufenden Druckmaschinen und Zinsvertilgungsgeschützen betrieben wird. Der Kampf wird zwar nicht in der Absicht aber mit der tatsächlichen Wirkung geführt, die Wirtschaftsordnung der bewährten Sozialen Marktwirtschaft, die Europa zu einem globalen Vorzeigebeispiel für sozialen Fortschritt und wirtschaftlichen Wohlstand gemacht hat, einer schleichenden Auszehrung auszuliefern.

Einem Kriegsmarschall gleich agiert der EZB-Präsident Mario Draghi bei diesem Angriff auf die Grundfesten der Wirtschaft Europas, obgleich er in sein Amt mit dem Auftrag berufen wurde, das heiligste Gut der Eurozone, die Stabilität ihrer Währung, zu verteidigen. Dieser Aufgabe ist er nicht nur nicht gerecht geworden, er hat sie mit zunehmend fester Entschlossenheit in ihr Gegenteil verkehrt: den Euro von einer prosperitätsgesteuerten harten zu einer das Stabilitätsgebot missachtenden Weichwährung zu machen. Dass diese Strategie die ökonomische Weltgeltung Europas, die bisher in der Leitwährungsfunktion des Euro Ausdruck findet, aufs Spiel setzt, betrifft den währungspolitischen Aspekt dieses selbstzerstörerischen Manövers.

Für die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft Europas wichtiger sind die umwälzenden Binnenwirkungen der EZB-Antiwährungspolitik. Wird die Nullzinspolitik mit der weitreichenden Entlastungswirkung auf die Staatsverschuldung verteidigt und zugleich auf die strukturelle Belebung der Aktienmärkte verwiesen, wird mit der gezielten Abwertung des Euro die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit auf den Exportmärkten herausgestellt. Wie sieht es aber tatsächlich mit diesen gepriesenen Vorzügen einer Euroabwertung sowie einer dauerhaften Nullzinspolitik aus?

Stünden wir in Deutschland vor der Gefahr einer Rezession, käme es angesichts der starken Exportabhängigkeit unserer Wirtschaft sicher einer Erleichterung gleich, wenn der im Normalzustand hochdotierte Euro vorübergehend zum Schwächeln neigen würde. Eine mit massiver Inflationierung einhergehende und mit dauerhafter Euroabwertung gekoppelte Nullzinspolitik hat aber für den Außenhandel in seinen beiden Flussrichtungen eine sehr viel komplexere Bedeutung.

Nicht nur ist zu berücksichtigen, dass der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit auf den Exportmärkten gleichermaßen Verteuerungseffekte bei den Importen gegenüber stehen, zu denen zum Beispiel auch die Urlaubsreisen ins Ausland gehören. Besonders empfindlich würde die Euroabwertung zu Buch schlagen, wenn es zu einer Umkehr der Preistrends auf den Rohstoffmärkten, insbesondere beim Öl, kommen sollte. Nicht zu vernachlässigen ist schließlich, dass Preisvorteile bei den Exportgütern durch ihre teurer importierten Komponenten wieder wettgemacht werden können.

Dass dem Zins in der marktwirtschaftlichen Ordnung die konstitutive Kraft einer Leitfunktion für die Kapitelströme zukommen sollte, hin zu den Orten und Projekten des dringendsten Bedarfs und der höchsten Nutzenstiftung, scheint bei der Führung der EZB in Vergessenheit geraten zu sein. Hier ist es seit Draghis Amtsantritt zu einer Umkehrung der Werte gekommen, mit der der Verschwendungssucht, statt sie einzudämmen, weitere Förderung zuteil wird. Natürlich auf Kosten der fleißigen und sparsamen Nordländer, denen man nicht nur die untragbar gewordenen Zins- und Tilgungslasten aufbürdet, sondern sich nicht scheut, auch in ihre Vermögensbildung einzugreifen, mit der sie zur Entlastung des Staates Eigenvorsorge für ihre Alterssicherung getroffen haben.

Auf diese Weise arbeitet Draghis Nach-mir-die-Sintflut-Politik den Grundzielen der Sozialen Marktwirtschaft entgegen, indem er ihre Prinzipien der Nachhaltigkeit und Vorsorge sowie des sozialen Ausgleichs preisgibt. Wenn der kleine Sparer enteignet und zugleich den finanziell besser gestellten Aktionären fette Beute zugeschanzt wird, ist der Weg in den Raubtierkapitalismus gebahnt, wovon nichts in den Gründungspapieren der europäischen Einheitswährung gestanden hatte.

Es kommt aber noch schlimmer im Blick auf das, was uns aus reichhaltiger Erfahrung aus unserer Geschichte erwartet: mit dem von den Banken zur Börse umgeschichteten Geldkapital werden statt realwertliche Güter zu erzeugen Phantasie getriebene Finanzblasen aufgepumpt, denen nach dem Kleinen Einmaleins der Geldpolitik die prekäre Eigenschaft des vorherbestimmten Platzens innewohnt. Dieses umso mehr als nach der an Absurdität nicht zu überbietenden EZB-Entscheidung vom 22. Januar 2015, Staatsanleihen der Eurozonen-Länder (zu einem erheblichen Teil durch Realwerte ungedeckt) in Höhe von 1,1 Billionen Euro aufzukaufen, die fahrlässige und verantwortungslose Wertzerstörung des Euro noch weiter auf die Spitze getrieben werden soll.

Die Wahnidee, wirtschaftliches Wachstum durch Inflationierung des Geldwertes „herbeidrucken“ zu können, grenzt an Wirtschaftskriminalität auf höchstem und entstammt einem ökonomischen Bildungsstand auf niedrigstem Niveau. Unternehmer investieren, wenn ausreichend Zuversicht in eine auskömmliche Rendite ihrer Investition besteht, also beim genauen Gegenteil jener Erwartung, die sie notwendigerweise haben müssen, wenn die von allen guten Geistern verlassenen europäischen Währungshüter in großem Stil mit unechtem Spielgeld statt Vertrauen zu bilden Unsicherheit schüren.

Zumal das entwertete Geld, das Marschall Draghi zur Erzeugung von fiktivem Wachstum in die Wirtschaft zu pumpen sich anschickt, statt in reale Investitionen zu fließen, natürlich bei den Banken hängenbleiben wird, die den kurzen Weg zur Börse nicht scheuen werden, um die ihnen von der Geldpolitik gesperrten Zinserträge mit Kursgewinnen aus dem Aktienhandel zu kompensieren. Karl Schiller hat diesen Zusammenhang zu Zeiten, als die Wirtschafts- und Finanzpolitik noch von fachlicher Expertise bestimmt war, mit dem Bild von den Pferden beschrieben, denen es nicht reiche, zur Tränke geführt zu werden. Sie müssten auch einen Anreiz zum Saufen verspüren. Die Pferde werden aber ums Verrecken nicht saufen, wenn sie erschnuppern, dass man ihnen faules Wasser vorgesetzt hat. Denn auf die Gefahr von Koliken reagieren auch Pferde eher mit Verweigerungshaltung.

Auch wenn unter den Ökonomen Europas darüber gestritten wird, ob die Geldbomben aus den EZB-Kanonen eine Wende zum Besseren bewirken können, so sind doch die sozialen Folgen dieses brachialen Vorgehens unstrittig, wie auch in der Titelgeschichte des SPIEGEL vom 7. Februar 2015 zu lesen war: „Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer.“ Was zeigt, wie fehlgesteuert diese Politik in Bezug auf das eigentliche Ziel der Währungsstabilität ist, das letztlich auf den sozialen Ausgleich unter den Bürgern der Eurozone gerichtet ist.

In der öffentlichen Debatte wird das ganze Ausmaß des Kahlschlags der Antiwährungspolitik, der über Wirtschaft und Finanzen weit hinausreicht und in das soziale Miteinander der Menschen in Europa eingreift, kaum angesprochen. Zunehmend größere Aufgaben der Bildungs- und Kulturförderung sowie der Unterstützung sozialer Vorhaben, für die in den staatlichen Kassen keine Mittel mehr vorgehalten werden können, werden hierzulande von den rund 20.000 gemeinnützigen Stiftungen wahrgenommen. Gerade ihre so wichtige Arbeit wird von der Geldpolitik der EZB massiv gefährdet, da ihr Förderpotential von den Erträgen ihres Stiftungskapitals abhängt, die im Zuge der Nullzinspolitik oftmals nicht einmal den Erhalt des stiftungsrechtlich vorgeschriebenen Realwertes ermöglichen.

Angesichts dieser desolaten Gesamtlage steht die Deutsche Bundesbank mit ihrem Eintreten für das Stabilitätsgebot in der Währungs- und Haushaltspolitik ziemlich isoliert da. Als die Kandidatur Mario Draghis für das Amt des EZB-Präsidenten bekannt wurde, hatte ihn Bundesfinanzminister Schäuble dem deutschen Publikum als ausgewiesenen Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft empfohlen. Inzwischen ist unter den Nordländern mit Erschrecken erkannt worden, dass man mit dem italienischen Finanzmann den Bock zum Gärtner gemacht hat. Statt der Härte der alten D-Mark schwebt ihm als Referenzmodell für den Euro in Abkehr von seiner Gründungsidee offensichtlich die weiche italienische Lira vor.

Damit festigt sich der Eindruck, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ am 23. Januar 2015 schrieb, „dass die EZB mit ihrem monetären Aktivismus zusehends zu einem Teil des Euro-Problems wird, statt zu dessen Lösung beizutragen".

 

 
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