MüMis Bloghouse

Wie steht es um die Zukunftstauglichkeit unserer Wirtschaft? (Teil 2 Währungspolitik)

Bei oberflächlicher Betrachtung herrscht über den Zustand und die Leistungskraft unserer Wirtschaft eitel Freude. Die Konjunkturdaten für Wachstum, Arbeitsmarkt, Exporte und Preisstabilität könnten besser nicht sein. Dabei hat das gesamtwirtschaftliche Preisniveau für den Warenkorb des Verbrauchers in Deutschland sogar einen Stabilitätsgrad erreicht, der für sich genommen einem preispolitischen Idealzustand nahekommt.

Weil diese „paradiesischen“ Verhältnisse aber gegenüber den weniger komfortablen Zuständen in anderen Ländern der Eurozone stark aus dem Rahmen fallen, sind sie allein wegen dieser „Kohorten-Inkongruenz“ Gegenstand heftiger politischer Attacken. Denn angesichts des Umstandes, dass die Europäische Zentralbank über das entscheidende Waffenarsenal auf dem Feld der Geld- und Währungspolitik verfügt und die Europäer ausgerechnet einen Italiener zu deren Führung berufen haben, darf es nicht verwundern, wenn die gegenwärtige EZB-Politik Regeln folgt, die den Lehrsätzen klassischer Währungspolitik Hohn sprechen.

Zunächst ist nach den Verträgen für die Bildung der politischen Union (EU) und der Währungsunion (Eurozone) eine strikte Arbeitsteilung vorgesehen. Während wirtschaftspolitische Regulierungen allein in den Verantwortungsbereich der EU-Kommission fallen, ist die EZB als oberste europäische Währungsbehörde mit dem Wächteramt zur Einhaltung der Stabilität des Euro betraut. Unter dem Regime ihres amtierenden Präsidenten Mario Draghi verstößt die EZB aber sowohl gegen die in den europäischen Statuten festgelegte Arbeitsteilung als auch gegen ihren eigenen Auftrag.

Ihre Quasi-Nullzinspolitik ist zwar formal darauf gerichtet, die in Teilen Europas bestehende Preisstabilität in einen inflationären Prozess zu überführen, tatsächlich und durch entsprechende Verlautbarungen dokumentiert, will sie jedoch vor allem den hoch verschuldeten Mitgliedsländern Südeuropas bei der Bewältigung ihres aus dem Ruder gelaufenen Schuldendienstes beistehen und dabei zugleich die Mittelbeschaffung zur Belebung ihres Wachstums und zur Bekämpfung ihrer hohen Arbeitslosigkeit erleichtern helfen.

Abgesehen davon, dass die europäischen Währungshüter mit diesem Politikansatz in die Geschäfte der EU-Kommission eingreifen, erscheint ihre Vorstellung fragwürdig, das erstrebte Wachstum der Wirtschaft mit höherer Rotationsgeschwindigkeit der Gelddruckmaschinen „herbeidrucken“ zu können. Die jeden Monat auf die Märkte geworfenen 60 Milliarden Billig-Euro werden nach aller Erfahrung eher das Gegenteil bewirken: im Verein mit fortlaufender Erhöhung der Schuldenstände die dringend notwendigen Strukturreformen, die in erster Linie zur Ingangsetzung von Wachstum nötig wären, weiter auf die lange Bank (nach Martin Luther des Teufels liebstes Möbelstück) zu schieben.

Wenn Karl Schiller einst sagte, dass es nicht reiche, die Pferde zur Tränke zu führen, sie müssten auch saufen wollen, heißt das auf die heutige Situation im Süden Europas übertragen, dass es darauf ankommt, die politischen Rahmenbedingungen für in die Zukunft gerichtete unternehmerische Investitionsentscheidungen zu verbessern. Dazu motivierend und dafür Vertrauen schaffend ist die Bereitstellung von billigem Notgeld sicher nicht.

Ist die Niedrigzinspolitik schon als wirtschaftspolitischer Ansatz für Wachstum und Beschäftigung ungeeignet, verstößt sie zudem gegen den eigenen Auftrag der obersten Währungsbehörde, die Währung stabil zu halten. Über 30 Prozent beträgt der Abwertungsverlust, den der Euro mittlerweile gegenüber dem US-Dollar zu verzeichnen hat. Ein Wertverlust, von dem vor allem der europäische Mittelstand mit seinen Millionen von Sparern und Altersvorsorgern, zudem bei gestiegenen Reisekosten ins außereuropäische Ausland und bei seinen in Dollar abgerechneten Importen, z.B. Öl und Gas, betroffen ist.

Dass dagegen vom billigen Euro die Exporteure profitieren, kann in gesamtwirtschaftlicher Sicht nur als schwacher Trost gelten, da die Exportgewinne vorwiegend den Aktionären der Exportwirtschaft zugutekommen, die bereits wegen des zinsbedingten Ausweichens der Anleger auf das Börsenparkett dort ihre Dauerpartys feiern. Die breite Bevölkerung profitiert jedenfalls nicht vom abgewerteten Euro, sie leidet darunter. Nur sieben Prozent der Deutschen legen ihr privates Kapital in Aktien an.

Noch unheilvoller als in ihren illusionären wirtschaftspolitischen Vorstellungen und in ihren währungspolitischen Verfehlungen erweist sich die Niedrigzinspolitik der EZB in ihren erodierenden Wirkungen auf die Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft. Ist die Funktionsfähigkeit der marktwirtschaftlichen Ordnung in der Freiheit der Preisbildung auf den Märkten generell begründet, gilt dies vor allem auch für die Kapitalmärkte. Der Zins als Preis des Kapitals hat insofern eine für die Leistungskraft des Systems konstituierende Wirkung: er leitet die Kapitalströme an die Orte, wo sich ihr Einsatz am meisten lohnt und wo die Volkswirtschaft am stärksten von ihren investiven Wirkungen profitiert.

Diese Leitfunktion des Zinses wird dort außer Kraft gesetzt, wo seine Höhe auf null abgesenkt wird und er damit seine segensreiche Wirkung nicht mehr entfalten kann. In der zinslosen Wirtschaft hat Kapital seinen Preis und damit seinen Marktwert verloren. Wo gigantische Geldmengen nahezu unbegrenzt in die Wirtschaft gepumpt werden, wird wertloses Kapital der Verschwendung preisgegeben. Zugleich werden Schuldner belohnt und Sparer bestraft und damit jener Funktionsmechanismus zerstört, der sozialen Frieden hervorbringt und Wohlstand schafft.

Dabei geht es nicht nur um das Für und Wider von materiellen Werten. Die Zinswirtschaft impliziert auch soziale Verhaltensweisen wie etwa das Vorsorgeprinzip. In seiner Anwendung auf die Altersvorsorge spiegelt sich eine Kultur sozialen Verhaltens wider, die statt der Zumutung nachzugeben, der Allgemeinheit zur Last zu fallen, Verzicht in der Gegenwart zugunsten eines Aufbaus von Vorsorgekapital im Alter zu leisten bereit ist. Auch diese gemeinschaftsdienliche Zielsetzung der Vorsorge wird durch die Niedrigzinspolitik auf Dauer ad absurdum geführt.

Ähnliches gilt für die sozialen Wertschöpfungen des Gemeinnützigkeitssektors, in dem Stiftungen und mäzenatische Einrichtungen dem Staat mit Übernahme vielfältiger Aufgaben in den Bereichen Soziales, Kultur, Bildung und Gesundheit zur Seite treten, solange die dafür erforderlichen Finanzmittel aus den Erträgen des Stiftungskapitals bereitgestellt werden. Auch dem Gemeinnützigkeitssektor als Ausdruck eines ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Engagements und einer hohen humanitären Werteorientierung wird auf Dauer die Existenzgrundlage entzogen, wenn der Kapitalzins durch politische Regulierung auf null gesetzt wird.

 
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