Vom Sozialstaat zur Wissensgesellschaft

Zusammenfassung des Referats von Dr. Wolfgang Müller-Michaelis mit anschließender Diskussion in der Kommission "Schlanker Staat" des Hamburger Wirtschaftsrats der CDU (Prof. Dr. Ulrich Karpen)
am 10. Oktober 2000 im Hamburger Rathaus

Eine Woche nach der Kommissionssitzung erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Nr. 242 v. 18.10.2000) die Dankesrede der langjährigen FAZ-Wirtschaftskorrespondentin in Washington, Carola Kaps, für die Auszeichnung mit dem Ludwig-Erhard-Preis 2000 für Wirtschaftspublizistik. In weitgehender Übereinstimmung mit der Argumentation des Referenten stellte sie als Ergebnis langjähriger Erfahrungen mit den US-amerikanischen Verhältnissen die wirtschaftspolitischen Erfolge der USA vor allem bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im letzten Jahrzehnt als anstrebenswertes Modell für Deutschland heraus. Dabei reflektieren die von beiden Autoren übereinstimmend genannten Gründe des amerikanischen Erfolges zugleich die Schwächen der deutschen Situation:

  • die Neue Ökonomie, deren Aufstieg in den USA in der rasanten Rezeption der Informations- und Kommunikationstechnologie begründet ist, hat dort darum so schnell Fuß gefasst, weil Amerika Wandel nicht als Problem sondern als etwas Positives, als Herausforderung und Chance begreift und davor nicht ängstlich zurückschreckt, wie dies weithin bei uns der Fall ist;
  • die amerikanische Aufgeschlossenheit, neuen Entwicklungen mit neuem Denken den Weg zu bahnen und "Hergebrachtes und Liebgewonnenes" (Roman Herzog) einschließlich sozialer Besitzstände, wenn es hilft, dem Fortschritt zum Durchbruch zu verhelfen, über Bord zu werfen, kontrastiert mit unserer Verweigerungshaltung, uns jenen "Ruck" zu geben, den der Altbundespräsident für die Herausbildung unserer "mentalen Standortfähigkeit" gefordert hatte. Dabei sollten wir angesichts unserer eigenen Erfolge mit der Sozialen Marktwirtschaft eigentlich wissen, wozu eine auf den Grundsätzen von Freiheit, Eigenverantwortung, Chancengleichheit und funktionierendem Wettbewerb gegründete Wirtschaftsordnung fähig ist, zumal die Amerikaner uns beweisen, dass "unser" altes Modell nach wie vor hervorragend funktioniert;
  • dem Erfordernis, den Sozialbegriff in Anpassung an die grundlegend veränderten Bedingungen modernen Wirtschaftens dem amerikanischen Vorbild gemäß neu zu definieren, wird hierzulande mit Ablehnung und Rückständigkeit begegnet. Man beharrt auf dem ideengeschichtlich auf den Frühsozialismus des 19. Jahrhunderts zurückgehenden Sozialstaatsverständnis im Sinne von Alimentierung und Umverteilung, wo doch unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts die Problemlösung nur in konkreter Hilfe zur Selbsthilfe bestehen kann, um die "employability" des in soziale Bedrängnis geratenen Wirtschaftsbürgers zu gewährleisten und seine gleichberechtigte "stakeholdership" am gesellschaftlichen Leben sicherzustellen.

Das Herausstellen dieser Erfolgskriterien des amerikanischen Modells (dem sich viele unserer europäischen Nachbarn mit positiven Ergebnissen angeschlossen haben) auch als anstrebenswert für Deutschland löste in der anschließenden Diskussion heftige Kontroversen aus. Der Referent sah hierin einen Beleg seiner Grundthese, dass das Kernproblem deutscher Reformpolitik weder in fehlenden finanziellen Ressourcen noch in mangelndem Unternehmergeist als vielmehr in einer im politischen Raum weit verbreiteten Bedenkenträgermentalität liege, die dem notwendigen Neuen Denken hemmend entgegensteht.

Der Referent sieht hierin aber auch eine Chance für eine neue politische Profilierung der Union. Wenn es ihr gelingt, die Zweifler mit einem pragmatischen Reformprogramm zu überzeugen, dass ein neuer Geist von Eigeninitiative und Selbständigkeit sowie Wettbewerb, Deregulierung, flexible Arbeitsmärkte, Steuersenkung, schlanker Staat und effiziente Kapitalmärkte, gepaart mit Risikobereitschaft und Innovationsfreude das entscheidende Rüstzeug für erfolgreiches Wirtschaften in einer immer enger verflochtenen Welt sind, wird sie auch bei Wahlen wieder die Nase vorn haben.

Dabei sollte beim Übergang vom industriell geprägten Sozialstaat zur modernen wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft neben einer Reform der Sozialpolitik, einer wirklich zielführenden Steuerreform und einer Reform der Alterssicherung das zentrale Aktionsfeld des Fortschrittsprogramms in der Bildungspolitik liegen. Bedenkt man, dass wir uns in Deutschland angesichts eines wachsenden Facharbeitermangels über Jahre hinweg eine unverändert hohe Arbeitslosigkeit von rund vier Millionen Mitbürgern leisten (was wir uns unter Berücksichtigung der verlorengegangenen Sozialabgaben und Lohnsteuern für diesen Personenkreis jedes Jahr 180 Milliarden DM kosten lassen) ist die Frage zu stellen, ob wir unser gesellschaftliches Kernproblem bisher nicht mit einem falschen Etikett versehen haben.

Müssten wir das, was wir traditionell als "Arbeitslosigkeit" bezeichnen, angesichts der veränderten gesellschaftlichen Anforderungen an den modernen Wirtschaftsbürger nicht eher zu einem großen Teil in "Ausbildungsmangel" umbenennen und müssten mit dieser genaueren Problembeschreibung nicht auch die alten Politikansätze grundlegend überdacht werden? Jedenfalls würde mit der tendenziellen Umschichtung eines Großteils unserer heutigen Staatsausgaben vom Sozialhaushalt in den Aus- und Weiterbildungssektor nicht nur ein markanter Abbau der Arbeitslosigkeit sondern zugleich eine generelle Senkung der Staatsausgaben und damit der Staatsquote verbunden sein.

Was in der Diskussion oft übersehen wird, ist der Umstand, dass mit der tendenziellen Umschichtung von alimentierenden Sozialausgaben zu investiven Bildungsausgaben auch dem Petitum Rechnung getragen würde, den investiven Anteil der Staatsausgaben zu stärken und den konsumtiven zurückzudrängen. Unabhängig von verbesserten Beschäftigungschancen für diejenigen, die statt Arbeitslosigkeit passiv über sich ergehen zu lassen, sich aktiv in beruflicher Weiterbildung engagieren, wird mit finanzieller Umlenkung auf den Bildungssektor auch der Aufbau neuer Bildungsmärkte mit weitreichenden Investitions(Bildungselektronik)- und daraus folgenden zusätzlichen Beschäftigungseffekten verbunden sein.

© B-I-K Consulting
    

Oktober 2000

 
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