Gesundheit muss nicht teuer sein

Das Aufbringen der Krankenversicherungsbeiträge mit dem Beschäftigungsverhältnis zu verknüpfen und die Arbeitgeber zur Hälfte zu beteiligen, hat sich zusammen mit den Arbeitgeberbelastungen aus Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträgen als Hauptursache der strukturellen Arbeitslosigkeit erwiesen. Der klassische Seufzer eines deutschen Handwerksmeisters am Beginn des 21. Jahrhunderts „Unser Problem ist, dass selbst ich mir mich nicht leisten kann“ erhellt die Absurdität der Lage, in die wir uns hineinmanövriert haben. Trotzdem bleiben die Versuche umkämpft, in diesem Kreuzungsbereich sozialer Sicherung und volkswirtschaftlicher Produktivität einen Entlastungsschnitt anzusetzen. Da aber das Ziel, mit einer Reform der Sozialsysteme zu mehr Wachstum und Beschäftigung zu kommen, ohne eine deutliche Absenkung der Lohnnebenkosten nicht erreichbar erscheint und die beiden anderen großen Sozialversicherungen wegen ihrer wirtschaftlichen Grundsicherungsfunktion hierfür wenig Spielraum bieten, bleibt keine andere Wahl, als dies über eine Abkoppelung der Krankenversicherungsbeiträge von den Arbeitskosten zu erreichen.

Dieser Ansatz bietet sich auch darum an, weil eine Finanzierungsreform ebenfalls aus Gründen einer Neuordnung des gesamten Gesundheitswesens längst überfällig ist.

Der Reformansatz geht von dem Befund aus, dass die Kostenträchtigkeit des Gesundheitswesens zwar auch, aber nicht in erster Linie in teuren medizinischen Behandlungen, Geräten und Medikamenten begründet ist. Es ist vor allem die Unwirtschaftlichkeit der zentralverwalteten Gesundheitsbürokratie, die Milliardenbeträge des Beitragsaufkommens der Versicherten außerhalb des medizinischen Versorgungsbereichs versickern lässt. Da der Staatshaushalt als Lückenbüßer für die daraus folgenden Lasten nicht länger in Anspruch genommen werden kann, muss das Heil in einem Systemwechsel gesucht werden, der über Effizienzgewinne einer Neuorganisation den Kostenausgleich herbeiführt.

Es gibt keine andere Wahl: Der gordische Knoten ist nur durch Übergang auf eine sozialmarkt-orientierte Gesundheitsökonomie zu lösen. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass der Gesundheitssektor als einziger der tragenden Leistungsbereiche unserer Gesellschaft bisher dazu verurteilt ist, in einem zentralverwaltungswirtschaftlichen Planungssystem a la DDR dahinzuvegetieren, während alle übrigen Grundbedarfsbereiche für die Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Wohnen, Mobilität und Reisen sowie Kommunikation wie selbstverständlich marktwirtschaftlich organisiert sind. In allen diesen Leistungsbereichen unserer modernen Wirtschaftsgesellschaft werden die hohen Kosten des technischen Fortschritts und die steigenden Qualitätsansprüche der Verbraucher mit Hilfe der Marktkräfte in auskömmliche Preise überführt. Das sollte auch in dem von Hochtechnologie und Massennachfrage nur so strotzenden Gesundheitssektor möglich sein.

Es ist möglich, wenn das Tabu durchbrochen wird, die gesetzlichen Kassen als beherrschende Macht des Gesundheitswesens zu sehen. Erst mit Neuregelung der GKV, die der Krankenversicherung wieder ihre ursprünglich dienende Rolle für Ärzte und Patienten zuweist, wird der Weg zur Lösung des Problems freigemacht. Der von der großen Koalition ins Spiel gebrachte Gesundheitsfonds ist nicht geeignet, eine in diesem Sinn nachhaltige Lösung herbeizuführen. Nur durch Einzug von Wettbewerb im Kassenwesen kann das Kartell aus gesetzlicher Krankenversicherung und parteiübergreifendem Gesundheitssozialismus aufgebrochen werden, dessen Herrschaftsanspruch im Verteilen der angeblichen Mangelware Gesundheit und im Kujonieren der Ärzte und ihrer Mitarbeiter besteht. Nur mit Marktkräften statt mit Planungsgewalt, mit Wahlmöglichkeiten, Leistungsanreizen und Einbau wettbewerblicher Regulative wo immer möglich sind die unbestritten steigenden Kosten im Zaum zu halten und der notwendige Sozialausgleich, wie überall, wo der soziale Markt regiert, zu schaffen.

Insgesamt geht es bei der sozialmarkt-orientierten Gesundheitsreform um drei Dinge

  1. Bei Bestehenbleiben des dualen Versicherungssystems Einführung einer kapitalgedeckten Standardversicherung, die für alle Nicht-Privatversicherten nach holländischem Modell mit pauschalen Prämien finanziert wird und die zur maximalen Einnahmensicherung für alle, auch für Selbständige und Beamte, obligatorisch ist. Im Baukastenverfahren kann die Standardversicherung mit Zusatzversicherungen für Zusatzleistungen nach individuellem Bedarf gestaltet werden. Dabei schließt der aus dem staatlichen Sondervermögen Nationale Gesundheitsvorsorge (NGV) finanzierte Sozialausgleich für Geringverdienende und chronisch Kranke auch die generelle Übernahme der Versicherungsprämien für Kinder in einkommensabhängiger Staffelung ein
  2. Optimierung der Mittelverwendung sowohl durch Rückbau der gesetzlichen Kassenbürokratie, die heute einen erheblichen Teil des Beitragsaufkommens absorbiert als auch durch Einspareffekte, die im Gefolge eines freien Wettbewerbs der Kassen untereinander durch Kassenfusionen und eine insgesamt Verwaltungskosten senkende Bereinigung des Kassenmarktes entstehen
  3. eine nachhaltige Verbesserung der Einkommenssituation für Ärzte und Pflegepersonal in Arztpraxen und Krankenhäusern soll auch hier durch mehr Wettbewerb, Privatisierung und Verbundlösungen sowie Differenzierung und Verbreiterung des Leistungsangebots unter Einbeziehung gesundheitsnaher Dienstleistungen erzielt werden.


aus: Wolfgang Müller-Michaelis, Neue Wege zu mehr Beschäftigung, Resch-Verlag, Gräfelfing 2000

   

 
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