Mümis Bloghouse - Gäste Blog

Zeitenwende - vor allem in Russland

Die angesagte Zeitenwende trifft einen ehemaligen Politiker wie mich in vielerlei Hinsicht. Neben Skandinavien spielten in meinem politischen Leben seit Jugendzeiten Russland und Frankreich eine große Rolle. 1971 war der Besuch einer Hamburger Delegation der Jungen Union in Moskau und Leningrad eine Pioniertat. Der erste Besuch von Politikern nach dem Moskauer Vertrag führte zur Einladung der Führung in den Kreml und die Überbringung einer Warnung an die Regierung Willy Brandt wegen des umstrittenen Status von West-Berlin. Die Reise erzeugte ein riesiges Presseecho. Sie war auch darum besonders, weil Intourist uns als Touristen einstufte und uns statt mit Funktionären mit normalen Jugendlichen zusammenbrachte. Da erlebten wir eben auch "normale" Menschen, die uns absolut freundschaftlich begegneten. Über diese Reise könnte ich einen längeren Bericht schreiben.

1986 entdeckte ich hinsichtlich es Berlin-Status eine Lücke im Moskauer Vertrag, wie mir Bundestagspräsident Jenninger nach Prüfung schriftlich bestätigte. Ich sollte aber tunlichst damit nicht an die Öffentlichkeit gehen und auf jeden Fall weitere Schritte von Helmut Kohl und ihm genehmigen lassen.

1992 bis 1996  folgten dann mit der Hanse-Brücke Jahre humanitärer Hilfe und politische Beratung in Hamburgs Partnerstadt St. Petersburg. Auch hier waren wir Pioniere mit Unterstützung von Außenminister Genscher und seinem Ministerium. Die Russen, die wir trafen, wollten keinen Blick in die Vergangenheit sondern nur in die Zukunft. Was ist nach dieser hoffnungsfrohen Aufbruchzeit inzwischen daraus geworden?

Ähnlich verlief die Entwicklung mit Frankreich, dem gegenüber wir nach dem Krieg mit dem deutsch-französischen Jugendwerk aufgewachsen sind. In diesem Rahmen gehörten Reisen nach Straßburg und in den Elsass wie nach Paris zum jährlichen Programm. 1970 führte ich als neues Mitglied des Hamburger Landvorstandes der Jungen Union eine Delegation nach Paris an. Es bestand Gefahr, dass das deutsch-französische Jugendwerk Sparzwängen zum Opfer fiel. Daher stand diese Reise unter besonderer Beobachtung. Wir absolvierten das Programm wie geplant und der Höhepunkt am letzten Tag war der turnusmäßige Besuch des deutschen Botschafters mit Gedankenaustausch.

Trotzdem hatte ich ein Problem. Der Abschiedsabend am Tag zuvor endete mit einem langen Besuch in unserem Stammbistro im Quartier Latin mit entsprechend viel Alkohol. Ich führte eine müde Truppe in die Botschaft. Glücklicherweise fiel die Diskussion aus, weil der Botschafter auf dem Sprung nach Bonn war. Da konnte ich in freier Rede von den besonderen Beschwernissen von Diplomaten sprechen, während in der Öffentlichkeit das Bild von Gängen von Empfang zu Empfang auf roten Teppichen bei Champagner und kulinarischen Köstlichkeiten vorherrschte. Botschafter Sigesmund von Braun, Bruder von Weltraumforscher Wernher, war sehr angetan und verabschiedete sich. Tage später wurde ich in Hamburg gefragt, wie ich das angestellt hätte. Von Braun hätte einen erfreulichen Bericht abgeliefert und das Jugendwerk sei erst einmal gerettet. Der Botschafter wurde überdies zum Staatssekretär befördert.

Anlässlich der französischen Präsidentschaftswahlen sah es zeitweilig so aus, dass uns auch in Frankreich eine Zeitenwende ins Haus stehen würde. Hätte Mme. le Pen die Wahl gewonnen, wären die besonderen Beziehungen Deutschlands zu Frankreich ebenso wie zu Russland einem Stresstest unterworfen worden. In den Medien wurde ein düsteres Bild an die Wand gemalt. Ob sich wenigstens die Wiederwahl von Macron auf Dauer als Rettungsring der engen deutsch-französischen Beziehungen erweisen wird, steht einstweilen in den Sternen. So spannend die Zeiten geworden sind, sie sind absolut unerfreulich und auf keinen Fall absehbar. Zu hoffen bleibt, dass die aktuelle Zeitenwende nicht die letzte bleiben möge.

 
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