Mümis Bloghouse - Gäste Blog

Was hat der NDR gegen das Schleswig-Holstein Musik Festival?

Der Hamburger Kulturpolitiker Peter Schmidt hat dazu an den Intendanten des NDR, Lutz Marmor, den folgenden Brief geschrieben.  

Ein Blick in die Programmvorschau der FAZ zeigt mir, das NDR-Fernsehen hat sich wieder einmal für das „Beste“ an diesem Abend entschieden: für den XXL-Ostfriesen, dessen offen zur Schau getragener Chauvinismus sein Publikum hat, wobei die kulturelle Relevanz in der Übersteigerung liegt, bei der man sich ein Augenzwinkern vorstellen muss.  

Das SHMF wurde schon beim diesjährigen  Eröffnungskonzert in einen kulturellen Spartenkanal verlagert. Für mich war die Mischung aus Live und Aufzeichnung (Pausengespräch) schon ein gewisses Ärgernis, zumal ich zuvor das „Concert de Paris“ verfolgen konnte, das den Nationalfeiertag der Franzosen begleitet, 400.000 Besucher in den Bann zieht und trotz der aufgebotenen Weltstars am Fuße des Eiffel-Turms alles andere als eine abgeschottete elitäre Veranstaltung ist, sondern sowohl vor Ort in Form eines Public Viewing  wie auch via TV-Übertragung eine profunde Werbung für die klassische Musik darstellt. Kann man diese Resonanz Achsel zuckend besonderen Verhältnissen einer „Kulturnation“ zuordnen, während wir eine solche nicht (mehr?) sind?  

Als das SHMF 1985 angekündigt wurde, hielt ich mich in der damals ersten europäischen Kulturhauptstadt Athen auf. Es erschien manchen  Griechen aus der Wissenschafts- und Kulturszene, denen ich begegnete, ein merkwürdiges Projekt zu sein. Schleswig-Holstein? Noch nie gehört. Warum wagt sich ein Lenard  Bernstein auf  eine kulturelle Terra incognita?  Nun, Zweifler gab es in Deutschland auch. Mir sind noch Wortkommentare- auch im Hamburger Funkhaus des NDR- noch gut in Erinnerung (Tenor: „Müssen wir Hamburger mit Neid auf das Nachbarland schauen? Nun Musik auf dem Land und Bauernhöfen, das sagt schon alles. Wir bieten hier mit Musikhalle und Oper der  Stadtbevölkerung ein ganzes Jahr ein Festival.“) Das legte sich allerdings bald, der NDR wurde zum Partner  und das Fernsehen übertrug die festliche Eröffnung aus dem Lübecker Dom bzw. der Marienkirche und das Schlusskonzert in Kiel bzw. umgekehrt live in einem festlichen Rahmen mit der Live-Moderation von Tagesschausprecherinnen.  

Schleswig-Holstein bekam dank der Initiative  des Gründungsintendanten, der Weltstars wie ein Magnet anzog, internationales Profil und spielte auf Augenhöhe mit anderen internationalen Konzertreihen. In diesem Jahr störte schon die in ein zweistündiges Sendeschema gepresste Liveübertragung, die keine Zugaben wie bei der Vorauspremiere am Vortag zuließ, über die in der Presse berichtet wurde.  

Die halbstündige Pause wurde mit einem aufgezeichneten Interview gefüllt, das sehr langatmig rüberkam, was auch an der Moderatorin lag, die hier etwas bieder herüber kam. Dass es sich um eine Konserve handelte, konnte man als gebürtiger Lübecker und damit als Ortskundiger schon an dem Wetterunterschied zwischen den beiden Tagen erkennen, zumal man unter freiem Himmel an der Trave saß. Das Ganze auch nicht im NDR-Fernsehen; dort lief bezeichnender Weise das „XXL-Landleben“.  

Noch ärgerlicher ist der Verzicht auf eine TV-Übertragung des Verdi-Requiem heute Abend zum Abschluss des SHMF. Dieses opernhafte Werk mit den exquisiten Solopartien, der gigantischen Chor- und Orchesterbegleitung in einer großen Arena und am Pult ein Weltstar wie Christoph Eschenbach, das schmeckt nach Verona, nach Aix en Provence, ja ein bisschen auch nach Paris, London, Wien, Moskau und München (Kurfürstenplatz). Sie, liebes NDR-Fernsehen, liebe ARD, verzichten darauf und senden heute lieber den „XXL-Ostfriesen“. Nichts gegen Tamme Hanken, genannt der „Knochenbrecher“. Ist das ein Zeichen für die beginnende Rückkehr nach fast 30 Jahren wieder zu einer Terra incognita der klassischen Musik? Werden hier die Knochen einer internationalen Wahrnehmung gebrochen?  

Lieber Herr Marmor, Bayern und der BR verfolgten Jahrzehnte lang den öffentlich-rechtlichen Auftrag, was Bildung und Kultur anbelangt, vorbildlich. Jetzt brachte eine angeblich stärkere Zuwendung zu jugendlichem Publikum und dem  gleichzeitig unterstellten anderen Geschmack dieser Zielgruppe Überlegungen hervor, das bisherige Programmschema zu verändern. Man wollte zunächst die Literaturreihen beschneiden, was den Protest der Literaturszene hervorrief. Auch ich habe als Mitglied der Hamburger Autorenvereinigung die Protestnote unterschrieben. Der Aufschrei hat den Rundfunkrat erreicht und die Vollstreckung des Plans zumindest gehemmt.  

Ich wünschte mir auch im Fall des SHMF und der auf überregionales Publikum zielenden TV-Sendungen einen solchen Aufschrei im Norden. „Das Beste im Norden“ war jahrelang auch dieses Musikfestival, oder hemmt eine Vierländeranstalt diese Sicht auf ein Bundesland, dessen Darbietung klassischer Musik  auch einen Aufmerksamkeitsgrad für den gesamten Norden brachte?  

Ich hoffe, Sie nehmen mir diese kritischen Anmerkungen nicht allzu sehr übel! Die Zuständigkeit für den European Song Contest wiegt ein Bemühen um die Abbildung  eines Festivalsommer im Norden nicht auf. Es reicht, wenn Sie wieder an die Gründerzeitjahre anknüpfen könnten.

 
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