MüMis Bloghouse

Verzicht auf die Feier eines historischen Jubiläums

Das Wartburgfest vom 18. Oktober 1817, zu dem 170 Jahre vor Einführung der Mobiltelefonie rund 500 Studenten aus allen Teilen des damaligen Deutschen Bundes in Eisenach zusammentrafen, hatte einen doppelten Anlass. Auf der Burg, auf der Martin Luther mit der Bibelübersetzung zum Schöpfer der deutschen Schriftsprache geworden war, sollte der 300. Wiederkehr seiner Reformation und zugleich des vierten Jahrestages des Sieges über Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig gedacht werden. Von historischem Gewicht aus heutiger Sicht sollte sich aber ein anderer Bestandteil des Festes erweisen: die erste öffentliche demokratische Demonstration im deutschsprachigen Raum, die nach Beendigung der napoleonischen Besatzung und der Restauration absoluter Fürstenmacht als Folge des Wiener Kongresses den Ruf nach „Volkssouveränität“ mit der Forderung nach Gewährung der Freiheits- und Grundrechte in allen deutschen Landen verband.

Angesichts dieser herausragenden Bedeutung des Wartburgfestes für die deutsche Verfassungs- und Demokratiegeschichte kann der staatliche Verzicht auf ein erinnerndes Gedenken, auch im Vergleich mit der ausufernden Erinnerungskultur zu den unser historisches Bewusstsein eher belastenden Episoden, nur als eine beabsichtigte zeitgeistige Verleugnung eines nachhaltig positiven Erbes unserer Geschichte gesehen werden. Wie armselig kommt doch das heutige, sich seiner kultur- und rechtsgeschichtlichen Würde nicht mehr bewusste Deutschland daher! Auf der einen Seite wird die von der türkischstämmigen Integrationsministerin betriebene kulturelle Verächtlichmachung der Deutschen von der Bundeskanzlerin mit dem Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt - auf der anderen Seite kommt kein einziger Repräsentant des deutschen Staates auf die Idee, des eigentlichen Geburtstages unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung zu gedenken, als erstmals auf deutschem Boden in aller Öffentlichkeit die politische Forderung nach Gewährung jener bürgerlichen Freiheitsrechte erhoben wurde, zu denen auch das von Frau Özuguz in Anspruch genommene Recht auf freie Meinungsäußerung gehört. Wie erhellend für uns Heutige wäre es, in einer Gedenkstunde des Deutschen Bundestages geehrt und gewürdigt zu sehen, was die Studenten vor 200 Jahren den autoritären Mächten ihrer Zeit mit Mut und Selbstbewusstsein abforderten und was nach langen Kämpfen über die Verfassungen der Frankfurter Paulskirchenversammlung, der Weimarer Nationalversammlung und des Parlamentarischen Rates in Bonn zum Fundament unseres heutigen politischen Lebens wurde.

So selbstverständlich im Jahr 2017 die Forderungen nach Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Religionsfreiheit auch klingen mögen, sie stießen damals, zwei Jahre nach dem Wiedererstarken der alten Mächte beim Wiener Kongress auf harte Ablehnung und gewaltbereite Repression der Fürsten. Dass das Wartburgfest überhaupt stattfinden konnte, war schon an sich ein unerhörter Vorgang. Nirgends sonst im Deutschen Bund als im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach herrschte ein derart liberales politisches Klima, das eine vom Volk und nicht von der Obrigkeit organisierte Zusammenkunft erlaubte. Zwar hatten etliche der deutschen Kleinfürsten nach dem Sieg über Napoleon und nach Beendigung der französischen Besatzungszeit ihren Bürgern moderne Verfassungen versprochen. Aber sobald sie wieder zu alter Herrschaft gelangten, wollten sie von ihrem Verfassungsversprechen nichts mehr hören - mit der honorigen Ausnahme des Großherzogs Carl August, der als liberaler Freigeist, bekanntlich auch Chef, Freund und Förderer Goethes, das Freiheitsbegehren der Studenten nicht nur duldete sondern auch unterstützte.

Mit einem zeitlichen Bogenschlag über 200 Jahre in die Gegenwart betrachtet stand Carl August von Sachsen-Weimar mit seiner liberalen Grundhaltung nicht nur im Widerstreit zu den meisten deutschen Herrschern der damaligen Zeit, sondern er würde, was die desaströse Rückständigkeit des politischen Zeitgeistes im heutigen Deutschland auf den Punkt bringt, auch im Gegensatz zu den meisten Obrigkeiten im zeitgenössischen Deutschland des Jahres 2017 stehen, einschließlich der amtierenden Thüringischen Landesregierung, die den geistigen Nachkommen der Veranstalter des Wartburgfestes von 1817 eine Gedenkfeier an historischer Stätte schäbigerweise verweigert.

Was wir heute mit den Wahlschlappen der alten Volksparteien, mit dem Überdruss der Menschen gegen die falschen Erzählungen mancher etablierten Medien und die Abwanderung in die „sozialen Medien“ des Internet erleben, ist bei genauem Hinsehen ein "deja vue" der Verhältnisse des Aufbegehrens liberal gesinnter Bürger gegen die jeweiligen Herrschaftsstrukturen damals wie heute. Nur mit dem Unterschied, dass an die Stelle der autoritären Fürstenherrschaft von vor 200 Jahren heute andere den Geist der Freiheit bedrohende Mächte getreten sind. Wobei es damals wie heute gefährlich ist, sich mit ihnen anzulegen, ja, sie als Feinde einer wahrhaft freiheitlich-demokratischen Ordnung beim Namen zu nennen. Denn sie verfügen über ein reichhaltiges Arsenal nachhaltig wirkender meinungspolizeilicher Instrumente und Mittel der Anschwärzung und der Verunglimpfung, dem man lieber nicht ausgesetzt sein möchte, wenn man sich eine Rufschädigung aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen lieber nicht leisten möchte und es daher vorzieht zu schweigen, wo deutlich geredet werden müsste.

Wenn wir ehrlich sind, unterwerfen wir uns in unserem Alltagsleben nicht selten jenem Schutzbedürfnis gegenüber Anwürfen des Rechtspopulismus, des Neonazismus, der Fremdenfeindlichkeit oder des Rassismus, indem wir lieber auf unser Recht auf freie Meinungsäußerung verzichten, bevor wir es wagen, in aller Öffentlichkeit gegen die Feinde der Freiheit Position zu beziehen. Der Verleger des Hamburger „Alster Magazin“ Wolfgang E. Buss hat sich im Editorial der jüngsten Ausgabe dieser elenden Denunziationsunkultur einmal gezielt angenommen und dabei dankenswerterweise mit dem Tabu gebrochen, die unrühmliche Rolle der „Öffentlich-Rechtlichen“ in diesem Zusammenhang zu verschweigen. Was den Umgang der Mächtigen mit der Bürgerfreiheit angeht, bleibt auch nach bewegten 200 Jahren deutscher Geschichte seit der Wartburgfeier so manches zu wünschen übrig. An die Stelle der Demagogenverfolgung mit Hilfe der Karlsbader Beschlüsse zur Zeit Metternichs ist heutzutage das "Freie-Meinungs-Verfolgungsgesetz" des Antijustizministers Heiko Maas getreten. Sein Beherrschungsanspruch beruht nicht wie zu Zeiten des Vormärz auf Fürstengewalt, sondern seine und seiner Gesinnungsgenossen Macht leitet sich nach einem FAZ-Zitat (Feuilleton vom 18. Oktober 2017) von den das Mainstreamdenken bestimmenden Kraftfeldern unserer Zeit ab:

• von den "seit 1968 eingespielten Diskursmachtverhältnissen"

• sowie von den "staatlich alimentierten Antifaschisten"-Netzwerken, die als ehemalige DDR-Propagandakader vornehmlich in den Redaktionsstuben rot-grüner Verlage und etlicher öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten Unterschlupf gefunden haben.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass sich im kommenden Jahr die linke Revolte von 1968 zum 50. Mal jährt. Dieter Stein hat in der "Jungen Freiheit" das brachiale Vorgehen der 68er Nachkommen im Verein mit den nach der Wende dazugestoßenen Antifaschistenkämpfern gegen sogenannte "rechte Verlage" während der Frankfurter Buchmesse aufs Korn genommen. Das folgende Stein-Zitat belegt, wie wenig sich an der Demagogenverfolgung alter Zeit bis heute im Grunde geändert hat: "Der Marsch durch die Institutionen wurde durch Einschränkung freier Debatten im öffentlichen Raum, das Niederschreien bürgerlicher 'Faschisten' an Universitäten eingeübt, der 'antifaschistische Kampf' in die Mitte der Gesellschaft getragen und schließlich auf Dauer gestellt, wie er im selbst von der CDU kafkaesk mitgetragenen und mit Staatsknete finanzierten 'Kampf gegen Rechts' seine Vollendung fand."

Selbst gegen den schon im Mittelpunkt der Wartburgfeier 1817 stehenden Reformator Martin Luther wird 200 Jahre später ausdauernd und kräftig die Nazikeule geschwungen. So beispielsweise in einem NDR-Rundfunkbeitrag bereits vor fünf Jahren (2012) zur Vorschau auf das Luther-Jahr und im Rückblick auf frühere Luther-Feiern wie dem Wartburgfest von 1817: Man wollte kaum seinen Ohren trauen, als es in dem NDR-Beitrag hieß, auf der Wartburg hätten die Studenten ihrer Begeisterung für den Antisemiten Luther freien Lauf gelassen und antifranzösische Parolen verbreitet!

Dies sollte sicher auch eine Anspielung auf die angebliche "Bücherverbrennung" auf der Wartburg sein, bei der realiter gar keine Bücher verbrannt wurden, mit deren prominenter Herausstellung in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung aber offensichtlich das Großartige des Rufs nach Volkssouveränität und Bürgerfreiheit in Misskredit gebracht werden soll. Was wir vom damaligen Geschehen wissen ist, dass abseits des offiziellen Festprogramms ein "Siegesfeuer" angezündet wurde, in das als Symbole des verabscheuten Absolutismus ein österreichischer Korporalstock, ein preußischer Ulanenschnürleib sowie ein kurhessischer Militärzopf geschmissen wurden. Zur Nachahmung von Luthers Verbrennung der Bannandrohungsbulle wurden auch in diesem Fall symbolhaft verhasste Schriften dem Feuer übergeben, nicht die echten Bücher, sondern weil diese zu teuer gewesen wären, zwischen schwarze Pappdeckel geklemmte und beschriftete Makulaturballen, darunter eine Sammlung der Polizeigesetze des preußischen Ministers Albert von Kamptz, den "Code Napoleon" und das Werk "Germanomanie" des jüdischen Autors Saul Ascher. Auch die gegen die Ziele der Burschenschaft gerichteten Schriften von August von Kotzebue gehörten dazu, der dem russischen Zaren Berichte über das aufmüpfige Verhalten der deutschen Studenten hatte zukommen lassen.

Ein nachträglicher Hinweis hierzu taucht in einem der Echolot-Bände von Walter Kempowski auf. 126 Jahre nach der unentschuldbaren Ermordung des offenbar als Agent des russischen Zaren tätigen Schriftstellers durch den Burschenschafter Karl Ludwig Sand im Jahr 1819 in Mannheim erscheint im April 1945 in mehreren von Kempowski zitierten Tagebuch-Eintragungen der US-Lieutenant Albert L. Kotzebue, der dort über seinen Auftrag berichtet, mit den auf die Elbe zustoßenden Russen Kontakt aufzunehmen und sich dabei daran erinnert, dass einer seiner Vorfahren der "Dramatiker August von Kotzebue und Günstling am Hofe des russischen Zaren" gewesen war.

Was immer man den Siegern eines Weltkrieges an Einflussnahme auf die Rezeption des Geschehens bei den Besiegten zugestehen mag, irgendwann sollte der Zeitpunkt gekommen sein, wo man zu unverstellter Geschichtsbetrachtung im Sinne der Friedenssicherung unter den ehemaligen Kriegsparteien zurückfindet. Dass an der gezielten Enthistorisierung der deutschen Nationalgeschichte mit entsprechendem Reedukationsauftrag an die Schulbuchverlage und meinungsbildenden Medien auch über 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs offensichtlich noch immer festgehalten wird, mag als einer der Gründe für die labile politisch-geistige Verfassung gelten, in der wir wie zu Zeiten des Wartburgfestes vor 200 Jahren in unserem Land heute leben

 
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