MüMis Bloghouse

30 Jahre Wiedervereinigung - Ein persönlicher Erfahrungsbericht

Diese Rückblende auf eine Generation wiedervereinigtes Deutschland wurde von einem rotarischen Freund angeregt, der sich meiner Dresdner Weihnachtsbriefe erinnerte, die ich unmittelbar nach der Wende während meines Einsatzes als Aufbauhelfer in Sachsen an einen größeren Kreis meiner Freunde und Bekannten versandt hatte. Ich beschrieb die rasanten Veränderungen, die sich in der Anfangsphase für mein Empfinden im Wochentakt abspielten.

Um meine Dresdner Zeit atmosphärisch einzufangen, hier ein kurzer Ausschnitt aus einem der Briefe, der weniger auf ökonomische Fortschritte als vielmehr auf das nie untergegangene kulturelle Ingenium Sachsens abhebt:

„Was macht die Faszination von Sachsen mit seinen Metropolen Dresden, Leipzig und Chemnitz und seinen schönen Städten wie Bautzen, Görlitz, Freiberg und Plauen aus? Es ist ein märchenhaftes Land mit wunderschönen Landschaften und in Jahrhunderten gewachsenen Ortschaften, in denen auf vielfältige Weise eine „altdeutsche Art“ die Zeiten überdauert hat. Man spürt auch durch die vielen Anzeichen moderner Zerstörungen hindurch, dass hier die Quellen der Romantik lagen. Es ist keine Übertreibung, Dresden eine wunderbare Stadt zu nennen, in der Friedrich von Schiller im Hause Theodor Körners Strophen seines Gedichtes „Freude, schöner Götterfunken“ aufgeschrieben hat. Es wurde übrigens zunächst nach einer alten Volksweise gesungen, bevor es Ludwig van Beethoven zu seiner zeitlosen „Ode an die Freude“ in seiner 9. Sinfonie inspirierte. Nie vergessen werde ich, wie mir Prof. Ludwig Güttler an der Ruine der Frauenkirche in den Nachthimmel weisend erklärte, dass die sakralen Elemente im Parsifal Richard Wagners (dessen Partitur er in Dresden aufsetzte) dem Erleben der „heiligen Räumlichkeit“ der Frauenkirche im Hallenbereich unterhalb des einzigartigen Kuppelgewölbes zu verdanken sind.“

Noch als BP-Direktor war ich im Januar 1990 als Teilnehmer einer kleinen Delegation Hamburger Kaufleute nach Dresden gereist, um zu erkunden, was als erstes anzupacken wäre. Wir flogen in einem sogenannten „Block-Bomber“, einer kleinen Maschine der Hamburg Airlines des Blockhouse-Gastronomen und Hoteliers Eugen Block. Der einzige konkrete Abschluss, mit dem wir nach Hamburg zurückkehrten, war ein „Letter of Intent“ zum Bau einer Großtankstelle an der Radeberger Straße, um für den zu erwartenden starken Reiseverkehr aus dem Westen den nötigen Treibstoff verfügbar zu haben, denn das an den Minol-Tankstellen der DDR bereitgestellte Zweitaktergemisch für den Trabi war für Westkarossen nicht zu gebrauchen.

Mit dem Bau der BP-Tankstelle, der ersten westlichen Großinvestition in den neuen Bundesländern nach der Wende überhaupt, wurde im Mai 1990 begonnen, im November wurde sie vom neu ins Amt gewählten MP Biedenkopf eingeweiht. Mit sechs doppelseitig anzufahrenden Zapfsäulenreihen sollte sie zu einer der Dresdner Attraktionen der Wendezeit werden, zumal die sich selbst nährenden Absatzsteigerungen aus zusätzlichen Anreisen von ungläubigen Ölmanagern aus aller Herren Länder sie zeitweilig zur höchst umsetzenden Tankstelle der Welt machten.

Mit modernem Shop-Angebot ausgestattet wurde sie auch zur begehrten Versorgungsstation vieler Wiedervereinigungspartys im Dresdner Norden. Selbst die in unmittelbarer Nachbarschaft in der Stauffenbergallee noch stationierten russischen Soldaten einer Panzerbrigade tauschten hier ihren kargen Sold in Hamburger Holstenbier ein.

Mit diesem einleitenden Spotlight auf Dresden möchte ich zwei gegensätzliche Aspekte ansprechen, mit denen die politische Wende in Deutschland und in Europa vor dreißig Jahren für mich persönlich verbunden war. So sehr mich das historische Ereignis der Wiedervereinigung beglückte, auf das ich mit meinen Freunden seit meiner Studentenzeit hingearbeitet hatte, so sehr traf mich die Aufgabe meiner „beruflichen Heimat“ in der Chefetage des Ölmultis BP. Die Engländer hatten das Ende der deutschen Teilung zum Anlass genommen, den Firmennamen ihrer deutschen Tochtergesellschaft von Deutsche BP AG in BP Europe SE umzuwandeln und den Firmensitz von Hamburg nach Brüssel zu verlegen. Zugleich wurden im Tankstellengeschäft die BP-Marke in allen deutschsprachigen Ländern Europas vom Markt genommen, die Firma Aral gekauft und die BP-Treibstoffe seither unter dieser Marke vertrieben. Ein englischer Kollege fragte mich nach der Wende in London ungehalten: Warum wollt ihr denn unbedingt mit euren Feinden (gemeint waren die DDR-Bürger) zusammenleben? Ich antwortete zu seinem Erstaunen: Das sind nicht unsere Feinde, das sind unsere Verwandten.

Als in Stettin geborener Sohn einer pommerschen Mutter und eines aus Dresden stammenden sächsischen Vaters habe ich den Zustand der deutschen Teilung von Kindesbeinen an in mehrfacher Dimension erfahren. Der Untergang Dresdens kurz vor Ende des Krieges lastete schwer auf der Kinderseele. Meinen achten Geburtstag erlebte ich am 5. Mai 1945 auf der Landstraße zwischen großen Treckwagen aus Ostpreußen marschierend,  mit dem unendlichen Strom der Menschen in dem Schicksal vereint, als Entwurzelte und Vogelfreie dem brutalen Regiment der Russen ausgeliefert zu sein, nachdem wir für kurze Zeit auch den vergleichsweise zivilisierten Einmarsch amerikanischer und kanadischer Truppenteile erlebt hatten.

Mit 14,5 Millionen Deutschen aus Pommern, Schlesien, Ost- und Westpreußen sowie aus den südosteuropäischen Siedlungsgebieten, von denen über zwei Millionen auf zum Teil grausame Weise ums Leben kamen, darunter auch eines meiner Geschwister, wurden so viele Menschen aus den deutschen Ostgebieten vertrieben, wie ganz Skandinavien zu jener Zeit Einwohner hatte. Norderstedt verdankt seine Gründung dieser größten ethnischen Säuberung der Neueren Geschichte, der bisher mit keinem einzigen Erinnerungs- oder Mahnmal in Deutschland gedacht wird.

Diese bedrückenden Kindheitserlebnisse dürften dazu beigetragen haben, dass ich mich seit meiner Studentenzeit für das Ziel der Wiedervereinigung engagierte, zunächst für „Dreigeteilt niemals“, was ursprünglich ein Wahlslogan der SPD war, als Vorsitzender des Pommerschen Studentenverbandes SAP und des Hochschulkuratoriums Unteilbares Deutschland an der Uni Hamburg und als Burschenschafter sowie sehr früh in der Führung der Pommerschen Landsmannschaft. Mit dem Bundestagsabgeordneten Philipp von Bismarck und anderen engagierten Pommern führte ich die Landsmannschaft von den sechziger Jahren bis 1990, wir bauten das Pommernzentrum mit Ostsee Akademie und Versöhnungskirche in Travemünde, ich war langjähriger Herausgeber der Pommerschen Zeitung.

Als Vertreter der vertriebenen Pommern war ich harten politischen Angriffen ausgesetzt, obgleich die Pommern schon frühzeitig eine moderate Linie vertraten und das Rad der Geschichte nicht wieder zurückdrehen wollten sondern eine gerechte politische Behandlung forderten, unter dem Motto „Aussöhnung durch Wahrheit“.

Als „bunter Vogel“ in der Kombination von aufstrebendem Manager eines Ölmultis und Vertriebenenfunktionärs, zudem als gezeichnetes Mitglied einer schlagenden Verbindung war ich ein gesuchter Gesprächspartner der drei etablierten Parteien ohne selbst einer angehört zu haben. Persönlich bin ich Willy Brandt, Herbert Wehner und Georg Leber begegnet, auch Walter Scheel, Erich Mende, Ernst Lemmer und Ludwig Erhard; später, als es auf die Wende zuging, Kurt Biedenkopf und Graf Lambsdorff; auch Richard von Weizsäcker und später Joachim Gauck, mit denen ich als Finanzdirektor dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages angehörte. Als höchste dieser Begegnungen mit der großen Politik, in der die ungelöste deutsche Frage Dauerthema war, empfand ich meine Berufung zum Fundraising-Beauftragten der von Helmut Schmidt nach der Wende gegründeten Nationalstiftung, die das Ziel hatte, die innere Wiedervereinigung in den Köpfen von Ost und West in Deutschland und in Europa zu fördern.

Ich erinnere mich an wunderbare Gespräche mit dem altersmilden Helmut Schmidt und lernte hier Wolfgang Schäuble, Jochen Vogel und den letzten demokratisch gewählten Präsidenten der Volkskammer der DDR Richard Schröder kennen. Noch während meiner BP-Zeit gehörte ich dem Kuratorium des von Kurt Biedenkopf gegründeten Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik IWG an, einem Thinktank, der die CDU programmatisch munitionieren sollte. Hier lernte ich in den 80er Jahren russische Wissenschaftler der Moskauer Universität kennen, die Biedenkopf nach Bonn eingeladen hatte. Sie eröffneten uns freimütig, dass die Sowjetunion vor dem wirtschaftlichen Kollaps stünde und suchten Rat,  wie das zu verhindern wäre.

So hatte ich früher als andere eine gewisse Vorahnung von jenem Umbruch in der Weltpolitik, der mit dem Fall der Berliner Mauer auch tatsächlich eintreten sollte. Zum Donnerstag, 9. November 1989 hatte ich eine Einladung zur jährlich vom Axel Springer Verlag veranstalteten Verleihung des „Goldenen Lenkrads“, wo führende Automarken gemäß Leservotum der Springerblätter ausgezeichnet wurden,  sinnigerweise im Springer-Hochhaus in der Kochstraße unmittelbar an der Berliner Mauer. Flugticket und Reisetasche lagen in meinem Büro bereit, als mich ein Anruf des damaligen VW-Chefs Carl Hahn erreichte, der im BP-Aufsichtsrat saß und für eine anstehende AR-Sitzung eine Fachfrage dringend geklärt haben wollte. Mein Berlin-Flug musste gecancelt werden und mir entging das Erlebnis, Zeuge des wichtigsten politischen Ereignisses der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu werden, das sich aus dem 11. Stock des Springer-Hochhauses einsehbar dort unten abspielte.

Deutschland hatte das Glück, in dieser Phase mit Bundeskanzler Helmut Kohl über eine der sich der historischen Stunde gewachsen zeigende Führungsfigur zu verfügen, die mit kluger Einschätzung, mit Augenmaß und unbeirrbarem Willen die Chance wahrnahm, die sich für die deutsche und europäische Einheit so unvermittelt auftat. Was für die große Mehrheit der Menschen in Ost und West als glückliche Fügung galt, wurde von einer Allianz gewisser Medien und einer politischen Minderheit, die sich aggressiv widerständig gebärdete und die von den ehemaligen Siegermächten Frankreich und Großbritannien unterstützt wurde, mit Argwohn verfolgt. In dieser Situation war es ein Segen, dass Helmut Kohl ein persönlich enges Verhältnis zum US-Präsidenten George Bush sen. aufgebaut hatte, das sich als stabil genug erwies, den Wiedervereinigungsgegnern aus Paris und London Paroli zu bieten.

In historischer Dimension wird das „Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas“, das Helmut Kohl zu Beginn des Jahres 1990 seinen Verhandlungen mit der DDR-Regierung und den Vier Mächten zugrunde gelegt hatte, als eine der großen staatsmännischen Taten des 20. Jahrhunderts in die Annalen eingehen. Vor diesem Hintergrund wird das Vorgehen seiner von ihm engagiert geförderten Nachfolgerin im Amt des Bundeskanzlers, ihn wegen der vergleichsweise untergeordneten Spendenaffäre zu stürzen, auf immer mit einem gewissen Beigeschmack verbunden bleiben.

Dass der 3. Oktober 1990 zum historischen Wiedervereinigungsdatum erkoren wurde, liegt daran, dass die Verhandlungen zwischen den ehemaligen vier Siegermächten und den beiden deutschen Teilstaaten zu diesem Termin zustimmend beendet worden waren und die Volkskammer in Ostberlin nach einer turbulenten Sitzung morgens um 2.30 Uhr „für den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes mit Wirkung vom 3. Oktober 1990“ gestimmt hatte. Auch das berühmte Foto, auf dem die beiden Innenminister Wolfgang Schäuble und Günter Krause die Dokumente über den Einigungsvertrag austauschten, rufen bei mir persönliche Assoziationen hervor. Während sich Wolfgang Schäuble, den ich später in Helmut Schmidts Nationalstiftung kennenlernen sollte, zu einem Vorwort für mein Buch „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“ bereit erklärt hatte,  davon aber wieder Abstand nehmen musste, weil er 2004 zeitweilig zum Kandidaten für die Wahl zum Bundespräsidenten wurde, gab es auch zu Günter Krause einen persönlichen Kontakt. Er nahm 2003 am Stiftungsfest meiner Rostocker Studentenverbindung teil, nachdem diese im Zuge der Wiedervereinigung von Hamburg nach Rostock zurückgekehrt war, weil sein Sohn Henning bei uns aktiv wurde und ich einen ganzen Abend Gelegenheit hatte, mich mit ihm auszutauschen.

Die Wiedervereinigung wurde von den Deutschen zunächst als in einem Spannungsverhältnis von Akzeptanz und Ablehnung sich abspielendes Phänomen betrachtet: von der großen Mehrheit als glückliche Fügung empfunden, von einer kritischen Minderheit als Rückfall in eine als überholt geglaubte Zeit nationaler Aufwallungen denunziert. Nach der Wiedervereinigung kam die Ossi-Wessi-Dissonanz hinzu, bei der aus Sicht der ehemaligen DDRler Arroganz und Imponiergehabe der Westdeutschen, die besseren weil erfolgreicheren Deutschen zu sein, als unerträglich empfunden wurde. Dem standen im Narrativ der Bundesrepublik die undankbaren Verlierertypen aus dem kommunistischen Osten gegenüber, die froh sein sollten, vom Westen wieder aufgepäppelt zu werden.

Ich erinnere mich einer Tagung des Bergedorfer Gesprächskreises der Körber Stiftung 1994, erstmalig außerhalb Hamburgs, in Dresden im damaligen Hotel Dresdner Hof an der Frauenkirchenruine unter Teilnahme des gebürtigen Dresdners und Hauni-Chefs Kurt Körber, der kurz danach verstarb. Die Leitung hatte Kurt Biedenkopf, ich saß neben Helmut Schmidt und freute mich über seine Zustimmung, als ich monierte, dass viele Westdeutsche nicht in der Lage seien zu differenzieren zwischen den negativen ökonomischen Ergebnissen einer maroden kommunistischen Diktatur und der positiven Lebensleistung der sich unter diesen widrigen Bedingungen behauptenden Menschen.

Wenn in diesen Tagen trotz bemühter Jubiläumsbeiträge in den Medien und angesichts der Corona-Lage sowie der erdrückenden Vielzahl internationaler Krisenherde im Rückblick auf die vor dreißig Jahren bejubelte Wiedervereinigung keine rechte Festtagsstimmung aufkommen will, liegt das vor allem auch daran, dass es um die allgemeine politische Stimmung im Lande nicht zum besten steht. Daher sollten jene politischen Kräfte mehr Beachtung finden, die statt des konfrontativen ideologischen Streits die konstruktive und um Gemeinsamkeit bemühte pragmatische Problemlösung suchen.

Zu diesen Politikern gehört die in Frankfurt/Oder geborene Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig, die bei der Wiedervereinigung 16 Jahre alt war und die gradlinig, offen und daher hilfreich und um den sozialen Frieden bemüht die Dinge angeht: „Was meine Generation am meisten geprägt hat, sind die widersprüchlichen Gefühle, die wir durch die Einheit erlebt haben. Auf der einen Seite Aufbruch und Freiheit, auf der anderen Sorgen und Ungewissheit. Unsere Eltern waren sehr mit sich und den Problemen wie Arbeitslosigkeit beschäftigt.“

Manuela Schwesig spielt hier auf die wirtschaftlichen Folgen des Niedergangs der DDR an, deren Ursachen in den Systemmängeln der ineffizienten Planwirtschaft lagen. Dass angesichts der Schwere des Zusammenbruchs die Bemühungen des Wiederaufbaus mit Hilfe der Treuhand nicht überall im Osten auf Verständnis stießen, liegt in der Natur der Sache. Fest steht nach meinem Urteil, dass die Treuhand in vielen Fällen nicht sensibel genug mit den Menschen umgegangen ist, denen der Übergang zur Marktwirtschaft oft als zu rigoros erschien. Das lag vor allem auch an der Person der Treuhand-Chefin Birgit Breuel, die bei allem Erfolg des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in den neuen Bundesländern den ehemaligen DDR-Bürgern wegen ihrer allzu forschen Vorgehensweise als Inkarnation eines „kalten“ Kapitalismus erschien. Unter der Führung ihres am 1. April 1991 ermordeten Vorgängers Detlef Karsten Rohwedder von der SPD wäre der Übergang von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft nach meiner Einschätzung um vieles glatter verlaufen.

Ich selbst habe bei der Mitwirkung an zwei wichtigen Projekten nach der Wende in Sachsen, bei der Sanierung der beiden Braunkohlenreviere in der Lausitz und im Raum Leipzig sowie beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche erleben dürfen, in wie starkem Maße Kräfte zu gemeinsamem Tun im Osten wie im Westen freigesetzt werden konnten, weil den Menschen plausibel gemacht wurde, dass damit nicht nur der Gemeinschaft und dem Land sondern auch ihrem eigenen Fortkommen und damit zugleich dem Wohl ihrer Kinder und Kindeskinder gedient wird.

Ich schließe mit einer Passage aus einem meiner Dresdner Weihnachtsbriefe, einer Szene, die mich während meiner ereignis- und erlebnisreichen Jahre in Sachsen am meisten bewegt hat und die im Rückblick auf die apokalyptische Zerstörung Dresdens durch alliierte Bomberflotten im Februar 1945 fast irreal anmutet: den Besuch von Queen Elizabeth in Dresden am 23. Februar 1995 zum 50jährigen Gedenken an dieses schreckliche Ereignis, das den Dresdnern bis heute in den Knochen steckt, während einer Zeremonie in der Kreuzkirche am Altmarkt, die der damals noch als Ruine daniederliegenden Frauenkirche am Neumarkt benachbart ist:

Die Königin in einem eleganten dunkelgrünen Mantel und Hut gekleidet nahm im Altarraum eingerahmt von Prinz Philip und Bundespräsident Roman Herzog Platz, an dessen Seite Frau Biedenkopf und der Ministerpräsident. Auf der gegenüberliegenden Seite saßen die geistlichen Vertreter der am ökumenischen Gottesdienst teilnehmenden Kirchen, in der vorderen Reihe der Bischof von Coventry, der Bischof der Evangelischen Landeskirche Sachsens sowie der katholische Weihbischof. Der bewegendste Teil des Gottesdienstes war die Lesung aus der Bergpredigt im Matthäus-Evangelium durch Prinz Philip in akzentfreier hochdeutscher Sprache. Ministerpräsident Biedenkopf setzte die Lesung in englischer Sprache fort. Der Bischof von Coventry erinnerte ebenfalls in deutscher Sprache an seinen Besuch vor einem Jahr in Dresden und an seine freundlichen Begegnungen mit Dresdner Bürgern. Seine Predigt war durchzogen von Dankbarkeit für die gelungene Partnerschaft zweier Städte, die auf tragische Weise unter der Zerstörungswut des Krieges zu leiden hatten. Eine weltberühmte Königin, die dem nicht minder berühmten Kreuzchor andächtig lauschte und eine vom historischen Geist dieser Stunde gebannte Kirchengemeinde in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kreuzkirche – ein unvergesslicher Eindruck für jeden, der dabei sein durfte.

 

Dieser Beitrag wurde am 6. Oktober 2020 als Vortrag im Rotary Club Norderstedt gehalten.

 
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