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Geht's noch? Wie der Staat der Gefährdung des sozialen Friedens tatenlos zusieht

„Und dann kann man darüber verzweifeln,“ schreibt Monika Maron in einem Essay zu den sich überschlagenden Absurditäten der identitätspolitischen Debatte, „vor Wut toben oder darüber lachen, unser schönes galliges Gelächter.“ Was ihr diese sarkastische Verhaltensvariante abnötigt folgt ihrer Beobachtung, dass es offenbar auch in einem Rechtsstaat Möglichkeiten gibt, „Menschen wegen unerwünschter Meinungen die Existenz zu erschweren oder sogar zu zerstören“. Verstört überkommen die frühere DDR-Dissidentin „alte Gefühle“, wenn im Deutschland dieser Tage „Zweifel schon verdächtig sind, wenn Fragen als Provokationen wahrgenommen werden, wenn Bedenken als reaktionär gelten, wenn im Streit nur eine Partei immer Recht hat“.

Da Antirassismus, Gendertheorie und Multikulturalismus, um nur einige der marktgängigen Ideen zu nennen, die Seite des moralisch Guten okkupiert haben, ist der Kritiker dieser Strömungen fraglos der moralisch anrüchigen zuzuordnen, wie Barbara Zehnpfennig, Professorin für Politische Ideengeschichte an der Universität Passau schlussfolgert. Sie sieht vor allem die Universitäten, traditioneller Hort der Freiheit der Gedanken und der Wissenschaften in Gefahr, vom Ungeist ideologischer Repression beherrscht zu werden und klagt Universitätsleitungen und staatliche Verwaltungen an, die mangels Wahrnehmung ihrer Ordnungsfunktion „der Ausbreitung des Duckmäusertums und der Heuchelei“ Vorschub leisten. So die Stadt Hannover, die den Vortrag eines renommierten Historikers über die Kolonialgeschichte absagte, weil eine rassismuskritische Initiative das Auftreten eines „weißen Mannes“ zu diesem Thema bemängelte und als unpassend empfand.

Matthias Iken, Chefredakteur des „Hamburger Abendblatt“ fragt in seiner analytischen Darstellung „Wie wir die Gesellschaft zersetzen“, wie derartige Bewegungen, die die ihnen in unserer liberalen Ordnung eingeräumte Narrenfreiheit für bare harte Münze nehmen und „sich von Tag zu Tag radikalisieren und die Spielregeln, die sie selbst für sich einfordern, permanent verletzen“ wieder einzufangen sind. Auch Wolfgang Thierse, SPD-Urgestein und selbst Opfer identitätspolitischer Pöbeleien aus den eigenen Reihen, sieht in der Überhöhung dieser Themen an Universitäten, in politischen Parteien und in gewissen Medien eine Gefahr für den demokratischen Zusammenhalt..

Als besondere Problematik kommt hinzu, dass die öffentlichen Debatten zu diesen Themen durchweg doppelbödig geführt werden, weil Worte wie Schuld, Rassismus und Antifaschismus nicht in ihrer ursprünglichen Bedeutung sondern in denunziatorischer Absicht als politische Kampfbegriffe gebraucht werden, was Otto Normalo überhaupt nicht wahrnimmt und ahnungslos zum willfährigen Resonanzboden der totalitären Aktivistenkader wird.

Warum diese radikale Diskursverlagerung und vor allem in dieser geballten Form und nicht selten in dieser hysterischen Tonalität? Dazu gibt es zwei Entwicklungsstränge, einen nationalen und einen internationalen. Der nationale Strang, den Abgründen der neueren deutschen Geschichte entsprungen, wurde in einem FAZ-Zitat am 18. Oktober 2017 genannt: Es sind in der ersten Stufe die „seit 1968 eingespielten Diskursmachtverhältnisse“, die sich seit der Wende mit den „staatlich alimentierten Antifaschisten“-Netzwerken verbunden haben, die als ehemalige DDR-Propagandakader vornehmlich in ideologisch affinen Verlagen und Redaktionsstuben sowie in etlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Unterschlupf gefunden haben.

Dem internationalen Strang, der die Debatten aktuell besonders lautstark beherrscht, hat Peter Graf Kielmansegg einen fulminanten Beitrag gewidmet („Die Schließung der Demokratie“, FAZ v. 17. Mai 2021), indem er die aus den US-amerikanichen Protestbewegungen nach Europa übergeschwappten Diversitäts- und Rassismusdebatten reflektiert, die mit den Auseinandersetzungen um die auf Europa gerichteten Migrationsströme zusammenfließen und sich mit dem darin eingeschlossenen politischen Islam und seinem Einfluss auf die zivilgesellschaftlichen Lebensverhältnisse der Europäer vermischen. Was Helmut Schmidt weitsichtig erkannte, als er mit einer überzogenen Öffnung für Zuwanderung fremder Kulturen den sozialen Frieden gefährdet sah, ist zumindest was das politische Diskursklima im Lande angeht leidvolle Realität geworden.

Deutschland, das europäische „Land der Mitte“, das über Jahrhunderte von kontinuierlicher Zusiedlung aus Süd, West, Nord und Ost profitierte, hat seine weltweit wegweisenden Errungenschaften in Kultur, Wissenschaft, Technik und Ökonomie dem fruchtbaren Zusammenwirken dieses Zuzugs und seiner Stämme, d.h. seiner föderalen Struktur zu verdanken. Diese positive Entwicklungslinie hatte indessen die Schattenseite mangelnder zentraler Machtentfaltung, was Deutschland immer wieder und vor allem im Dreißigjährigen Krieg des 17. Jahrhunderts zum Spielball fremder Mächte werden ließ, dessen Folgewirkungen im Nordosten des Landes bis heute spürbar sind.

Statt aus den Erfahrungen des grausam geführten Religionskrieges im eigenen Land gelernt zu haben, öffnen schlecht informierte politische Eliten unser Land allzu bereitwillig den seit dem Mittelalter andauernden Religionskriegen des Nahen Ostens zwischen Sunniten, Schiiten, Kurden und Palästinensern und heute vor allem dem Hegemonialmacht beanspruchenden türkischen Islam. Wenn gerade auch aus muslimischen Migrantengruppen des Nahen Ostens Vorwürfe des Rassismus und Kolonialismus gegen die Deutschen laut werden, muss mit Blick auf die europäische Geschichte daran erinnert werden, dass in jener Epoche, als die seefahrenden Mächte Europas, die Briten, Spanier, Portugiesen, Franzosen, Holländer und Belgier, die Welt unter sich aufteilten und ihre Kolonialreiche mit nach heutigen Vorstellungen menschenverachtenden Mitteln begründeten, das „Land der Mitte“ zerstört und verwüstet daniederlag. Die verspäteten Versuche Deutschlands, den europäischen Kolonialmächten nachzueifern, blieben eine Fußnote der Kolonialgeschichte, zumal sie nur wenige Jahre am Übergang vom 19. in das 20. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg andauerten.

So handelt es sich bei den Namibia betreffenden Anfeindungen brutaler Kolonialherrschaft einschließlich der  Genozid-Anklage nachweislich um den Nachklapp von Machenschaften des ehemaligen DDR-Geheimdienstes, dem verhassten westdeutschen Klassenfeind imperialistischen Machtmissbrauch anzukreiden (siehe SPIEGEL-Story „Gewisse Ungewissheiten“ Nr. 24/2016 S. 54-59). Auch hier haben sich dem deutschen Schuldkult verhaftete Politiker der Anklage und dem Urteil namibischer Stammesführer (nicht der namibischen Regierung!) „um des lieben Friedens willen“ gebeugt. Auf Dauer kann es nur böses Blut unter den „schon länger hier Lebenden“ schaffen, wenn aus Kreisen zugewanderter Neubürger, die als Hilfesuchende kamen und bereitwillig Aufnahme fanden, sobald sie der deutschen Sprache mächtig sind, öffentliche Ansprüche auf Revanche für in der Heimat erlittenes Unrecht erhoben werden. Etwa in der ARD-Sendung ttt-titel-thesen-temperamente vom 30. Mai 2021, wo eine deutschafrikanische Moderatorin einen farbigen Autor interviewt, der zur Kennzeichnung des angeblich starken Bevölkerungsanteils von Europäern mit afrikanischen Wurzeln den Begriff „Afropäisch“ erfunden hat und der sich in der Sendung glücklich schätzt, aktuell miterleben zu dürfen, „wie sich Deutschland mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt“.

Die mit aggressiver Vorwurfshaltung erzeugte zänkische Debattenkultur, die aus zunehmender Anzahl der Themenfelder der Identitätspolitik stets neue Nahrung erhält und nicht selten von hasserfüllter und vorurteilsgeladener Rhetorik getragen ist, gehört sicher zu den unangenehmsten Kollateralschäden ungeordneter Zuwanderung.

Ein weiterer der Migration geschuldeter Entwicklungsstrang ergibt sich aus dem „cultural clash“ zwischen christlichem Europäertum und dem mit den Migrationsströmen eingeschleusten politischen Islam. So ehrenwert die Versuche sind, zwischen Christentum und Islam ein religiöses Verhältnis auf Augenhöhe zu etablieren, so eindeutig abweisend verhält sich die politische Führung des orthodoxen Islam gegen alle Versuche, einem der europäischen Aufklärung verhafteten Reformislam den Weg zu ebnen. Das wird nicht ohne Folgen für das Zusammenleben von Europäern und jenen muslimischen Zuwandergruppen bleiben, die sich ein enges Verhältnis zu ihrer angestammten Religion bewahren. Denn was von gutmeinenden aber schlecht informierten Europäern oft übersehen wird, ist, dass es sich beim Islam nicht nur um einen Gottesglauben sondern zugleich um das strenge Regelwerk einer Gesellschaftsordnung handelt, die Unterwerfung und Konformität der Gläubigen unter eine autoritäre Staatsform impliziert und sie damit ständigen Konflikten mit selbstbewusster freiheitlich-demokratischer Bürgerlichkeit aussetzt.

Zu den das gesellschaftspolitische Klima belastenden Begleiterscheinungen einer überzogenen Migration gehören über die genannten Entwicklungen hinaus

  • Der aggressive islamische Antisemitismus, der regelmäßig durch Nahostkrisen ausgelöst entflammt und, da er sich auf deutschen Straßen austobt, in der internationalen Wahrnehmung den Deutschen angelastet wird, die nicht einmal ihrem Zorn darüber Ausdruck verleihen dürfen, weil ihnen dies als Islamophobie angelastet wird. Hierzu ein Zitat des Historikers Professor Michael Wolffsohn: „Wenn ich mich in meinem jüdischen Bekanntenkreis umhöre, dann sagen alle das Gleiche: Gewalt gegen Juden geht ausschließlich von Muslimen aus.“
  • Die ausufernden rechtsfreien Räume in den Ballungszentren islamischer Migration, die den demokratischen Rechtsstaat dort auf Dauer in Frage stellen und zudem als Orte struktureller Kriminalität (einschließlich des Drogenhandels) in erheblichem Maße dauerhaft und kostenträchtig polizeiliche Einsatzkräfte binden.
  • Und schließlich die staatlicherseits geheim gehaltene Größenordnung sozialer Migrationslasten, die sich aus einer unübersichtlichen Vielzahl von Haushaltstiteln des Bundes, der Länder und der Kommunen zusammensetzt, die nach Experten-Recherchen jährlich mindestens 50 Milliarden Euro ausmacht und die vor allem die Kommunen, die für die Unterbringung aufkommen müssen, angesichts steigender Immobilienpreise und Baukosten vor erhebliche Refinanzierungsprobleme stellt. Eine auf Dauer untragbare Last stellt das „beitragsfreie Andocken“ von Migranten-Großfamilien an die beitragsfinanzierten Sozialbudgets der einheimischen Bevölkerung dar. Da diese Großfamilien in ihren Herkunftsländern schon für sich genommen das klassische Altersversorgungsystem darstellen, muss man nur die vier Grundrechenarten beherrschen, um zu erkennen, dass hunderttausendfaches Andocken zusätzlicher beitragsfreier Anspruchssteller an die beitragsfinanzierten Sozialbudgets der kleinfamiliären deutschen Solidargemeinschaft den Sozialstaat eines Tages zur Implosion bringen muss.

Wo immer im Leben etwas schief gelaufen ist, kommt erste Hilfe mit der Erkenntnis, die in Rudolf Augsteins Credo Ausdruck findet: „Sagen, was ist.“ Nur wenn dazu von unseren geistigen, politischen und medialen Eliten der Mut und die Kraft aufgebracht wird, kann überhaupt erst der Weg bereitet werden, dass sich an der zur Zeit schwer erträglichen Lage etwas ändert. Sodann braucht es keine großen Ankündigungen oder gesetzgeberischen Maßnahmen, um der vermieften deutschen Debattenkultur wieder frische Zugluft zuzuführen. Eine Reihe pragmatischer Schritte auf den relevanten Entscheidungsebenen, wie hier nur beispielhaft angedeutet, könnte dazu beitragen, Abhilfe zu schaffen:

  • das Ordnungsrecht an den Universitäten zielgerichteter anzuwenden und Verstöße konsequent zu sanktionieren;
  • die Kontrollorgane der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit öffentlich gewählten Bürgern zu besetzen;
  • Stopp staatlicher Finanzierung verfassungsfeindlicher Aktivistengruppen (vor allem Antifa, dazu Henryk M. Broder: Sagen wir wie es ist: Der Antifaschismus ist der Faschismus des 21. Jahrhunderts);
  • Begrenzung der jährlichen Zuwanderung auf Größenordnungen, die für klassische Einwanderungsländer (zu denen Deutschland nie gehört hat) wie USA und Kanada gelten;
  • stärkere staatliche Förderung des europäischen Reformislam;
  • Beschneidung des Einflusses des staatstragenden türkischen Islam auf den Religionsunterricht an deutschen Schulen.

 

Schritte wie diese würden zwar die Lage nicht schlagartig zum Besseren wenden, aber zumindest Signale an jene aussenden, die seit längerem daran zweifeln, dass unser Staat noch die Befähigung und Kraft besitzt, seine ihm von den Bürgern überantwortete Ordnungsmacht auszuüben.

 
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