Knowledgemanagement - Kulturtechnik der Wissensgesellschaft

erschienen in: "Digitale Trends. Erwartungen, Realität und Perspektiven"
hrsg. vom Wirtschaftsrat der CDU, Landesverband Hamburg

Wolfgang Müller-Michaelis

1. Knowledgemanagement

Computergestütztes Wissensmanagement wird in der Informations- und Wissensgesellschaft von der Natur der Sache her zu den grundlegenden Kulturtechniken des 21. Jahrhunderts gehören. Seine wachsende Bedeutung ist nicht allein im Gebot des LebensLangenLernens und in den Anforderungen von Forschung und Lehre an fortschrittliche Methoden der Wissenserschließung und -verarbeitung begründet. Vor allem die Organisation des Wirtschaftsalltags hat die entscheidenden Impulse gegeben.

Trotz seiner bereits heute verbreiteten Anwendung handelt es sich beim Knowled-gemanagement (KM) um einen unbestimmten Fachbegriff, unter dem eine breitgefächerte Methodenvielfalt subsummiert wird. Im aktuellen Brockhaus ist der Begriff "Wissensmanagement" noch nicht aufgeführt. Gemeinsam ist allen KM-Ansätzen die Idee, das Zusammenspiel von Humanintelligenz und künstlicher Computerintelligenz zu organisieren. Ziel ist, die Skalenerträge des kombinierten Einsatzes beider Intelligenzarten in Entscheidungsprozessen und Problemlösungsstrategien zu optimieren.

Nach der Theorie wirtschaftlich-technischer Entwicklungszyklen, die den Veränderungsprozess der Wirtschaftsgesellschaft auf der Grundlage immer wieder neuer Basisinnovationen beschreibt, befinden wir uns am Beginn des 21. Jahrhunderts bereits in der Übergangsphase vom fünften zum sechsten Kondratieff-Zyklus. Als Basisinnovation des fünften Kondratieff gilt bekanntlich die Informations- und Telekommunikationstechnologie. Der Konjunkturforscher Leo A. Nefiodov sieht als bewegende Kraft des kommenden Zyklus einen Innovationsprozess, der die Psychosoziale Kompetenz des Menschen in das Zentrum des Ge-schehens rückt. In dieser Phase wird dem Wissensmanagement ein erheblich größeres Gewicht in der Steuerung gesellschaftlicher Prozesse beige-messen als es dies heute hat.

Während es bei den heute verbreiteten KM-Anwendungen um den "computer-gestützten Umgang mit sicherem Expertenwissen" geht, besteht der Reiz des kommenden Zyklus im "computergestützten Umgang mit ungenauem (wissenschaftlich nicht belegtem) Wissen". Wir haben es demnach mit einem Gegenstand mit hochinteressanten Zukunftsperspektiven zu tun. Erstaunlich mag in diesem Zu-sammenhang auf den ersten Blick erscheinen, dass die "Optimierung von Informationsflüssen zwischen den Menschen" von der Forschung als zentrales Aufgabenfeld erst des kommenden sechsten Kondratieff gesehen wird. Betrachtet man allerdings den Wirrwarr der gegenwärtig in unserem Land laufenden Reformdebatte, wird deutlich, in welchem Ausmaß unsere gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse heute realiter durch Wissens-Missmanagement blockiert sind.

Mehrere Arbeitsfelder können beim heutigen Stand der Entwicklung von KM-Modellen unterschieden werden

    Optimierungsmodelle zur Informationsgewinnung

    Generierung von Erfahrungswissen für KM-Anwendungen

    Wissensmanagement mit Hilfe Strategieorientierter Modellbildung (SOM)

    KM-adäquates Design von Unternehmensführung und Betriebsorganisation

2. Optimierungsmodelle zur Informationsgewinnung

Im ersten Arbeitsfeld geht es um Orientierungshilfe und Zugriffstechnik zum verfügbaren Wissenspool zur Reduzierung des Zeit- und Kostenaufwands bei der Informationsbeschaffung. Die Rasanz des technischen Fortschritts in der Informations- und Telekommunikationstechnologie bringt es mit sich, dass

    die IT-Strukturen einem ständigen Wechsel unterliegen

    die Computerleistung (mit einer Verdoppelungsrate alle 18 Monate) unvermindert stark wächst

    die Palette der Endnutzer-Geräte sich immer breiter auffächert

    Zeitaufwand und Kosten des Internetzugangs weiter reduziert werden.

Hinzu kommt eine stark wachsende Intensität im Endnutzerverhalten, die zusammen mit der Dynamik der genannten technischen Entwicklungslinien zu einer exponentiell steigenden Menge verfügbarer und ausgetauscher Informationen führt. Aus dem Bedürfnis, in die Unübersichtlichkeit dieser ungebrochen wachsenden Informationsflut Breschen zu schlagen, ist das Datamining als Einstiegsstufe in das Wissensmanagement entstanden.

So hat sich das Softwarehaus Datenlotsen zum Ziel gesetzt, seinen Kunden Naviga-tionshilfen an die Hand zu geben, um der steigenden Informationsflut Herr zu werden. Die Anforderungen an die zu entwickelnde Software sind vor allem darum hoch, weil ihr Marktwert vom erfolgreichen Antizipieren möglicher Zukunftsentwicklungen in der IT-Architektur abhängig ist. Auch ist der Wandel in den Anwendungstrends zu berücksichtigen. Ging es den Kunden in der Vergangenheit zunächst um reinen Zugang zum Informationspool des Internet und um Netz-Präsenz über Portale, stehen gegenwärtig einfache Transaktionen zur Generierung von Umsatz im Vordergrund. Die eigentliche KM-Anwendungsphase steht erst noch bevor, wenn es um Content in Form von Wissen zur Steuerung der innerbetrieblichen Prozessabläufe geht, um Rentabilitätsgewinne zu erzielen.

Die Kunst, Informationen KM-adäquat zu strukturieren, besteht vor allem darin, heterogene Zusammenhänge zu homogenisieren. Daher muss die Software so konzipiert sein, dass sie datenbank-, betriebssystem- und autorenunabhängig betrieben werden kann. Für den Anwender müssen die unterschiedlichen Datenbanken, Betriebssysteme und Services über eine Software-Applikation kompatibel gemacht werden. Die Datenlotsen arbeiten bei ihren unterschiedlichen Produktentwicklungen mit einer einheitlichen Werkzeugsprache. Die tabellengestützte Programmierung besteht lediglich aus 13 Befehlen: ein starres System ohne kryptische Codes. Mit Hilfe der Rapid Application Development (RAD) können Programme zehnmal schneller geschrieben werden als nach herkömmlichen Methoden (z.B. IBM-Functionpoint). Die Datenlotsen erreichen so eine drei bis viermal höhere Produktivität. Das erlaubt ein breites Pro-duktangebot.

3. Generierung von Erfahrungswissen für KM-Anwendungen

Zu den klassischen Aufgaben erfolgsorientierter Unternehmensführung gehört es, die Betriebsabläufe und Entscheidungsprozesse zu optimieren. Schon in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts setzte man große Hoffnungen auf das Elektronengehirn. Es wurde mit komplizierten mathematischen Formeln gefüttert, um sich seiner enormen Rechenkapazität zu bedienen. Ver-wertbare Lösungsansätze für die Praxis des Betriebsalltags konnten mit dieser Methode nicht ermittelt werden.

In den 80er Jahren wurden sogenannte Expertensysteme Mode. Hier wurden vom Computer nach Eingabe von Datensätzen selbständige Lösungen errechnet, deren Lösungswege aber von den Anwendern nicht nachzuvollziehen waren. Auch hier waren die Ergebnisse für die Praxis nicht nutzbar. Mit den anschließend zur Anwendung kommenden Diagnosesystemen, bei denen das Wissen in eindeutigen Regeln formuliert werden kann, kam man der Sache schon näher.

Hier wurde die Bedeutung der Wissenserhebung und -modellierung als Grundlage operationaler KM-Anwendungen offenkundig. Hinzu kam die Erkenntnis, dass es nicht ausreichte, nur die Informationen an sich, sondern auch die Methoden, mit denen Menschen sie verarbeiten und den Systemen eingeben, zu erfragen.

Den entscheidenden Durchbruch hat das Computergestützte Wissensmanagement mit der Idee erfahren, das in den Köpfen der Mitarbeiter gespeicherte Wissen für die Optimierung betrieblicher Prozesse nutzbar zu machen. Dabei interessiert vor allem das Erfahrungswissen, das sie sich im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit angeeignet haben, und wie dieses Wissen "geerntet" und zur Wieder-verwendung auf Vorrat gelegt werden kann.

Jeder erwachsene Mensch verfügt über einen Schatz erinnerbarer Lösungswege aus der Bearbeitung früherer Aufgaben. Er wird bei jedem neuen Projekt, das er bearbeitet, auf seine früheren Vorgehensweisen mehr oder weniger unbewusst zurückgreifen. Vor allem wird er sich an jene Schritte erinnern, die ihm weitergeholfen, aber auch an jene, die ihm Ärger gebracht haben. Worauf es für das Unternehmen aber ankommt, ist, dass dieses indivi-duelle Erinnerungsvermögen in ein "virtuelles Gemeinschaftsgedächtnis" überführt wird. Die Erfahrungswerte für den richtigen Lösungsweg sollen dem Unternehmen auch dann erhalten bleiben, wenn längst ein anderer Mitarbeiter an diesem Platz mit ähnlichen Aufgaben befasst ist.

Es ist offensichtlich, welcher Aufwand an Zeit und Geld eingespart werden kann, wenn der neue Mitarbeiter auf das Erfahrungswissen seines Vorgängers zurückgreifen kann. Auch das Rad muss schließlich nicht immer wieder neu erfunden werden, wenn über die Konzeption moderner Verkehrssysteme nachgedacht wird.

Neben dem Aufbau einer Datenbank für Wissensträger geht es demnach darum, der Dokumentation abgeschlossener Projekte ein obligatorisches Protokoll der Problemlösungswege beizufügen, die zu seinem erfolgreichen Ab-schluss geführt haben. Die in er betrieblichen Praxis zu überwindenden Hürden (Abneigung gegen zusätzlichen Zeitaufwand und gegen Preisgabe eigenen Wissens) sollten mit entsprechenden Anreizsystemen überwunden werden.

4. Wissensmanagement mit Hilfe Strategieorientierter Modellbildung (SOM)

Aus dem individuellen Erfahrungswissen auch für Dritte nutzbare Lösungswege abzuleiten, liegt auch der KM-Methode Strategieorientierter Modellbildung zugrunde. Ziel ist es, das erfahrungsgeprägte Vorgehen in einem Dokument explizit darzustellen, das auch von anderen Menschen oder von einem Computerprogramm genutzt werden kann. Selbstverständliche Voraussetzung ist, dass die zu erhebende Erfahrung aus einem Bereich stammt, in dem Entscheidungen im Regelfall im Wege rationaler Deduktion gefunden werden, was in einem Unternehmen grundsätzlich der Fall ist.

Der Charme dieser an der TU Berlin entwickelten Methode liegt in der Nutzung der strategischen Weisheit des "divide et impera". Es werden einzelne Arbeitsbereiche identifiziert und ihnen fachlich mit den dortigen Aufgaben vertraute Teams zugeordnet. Probleme des gesamten Unternehmensgeschehens bleiben bei der Erkundung des im Teilbereich angesiedelten Erfahrungswissens außen vor. Durch diese Verdichtung ist eine volle Konzentration auf die spezifischen Besonderheiten der hier zu ermittelnden Lösungswege gewährleistet.

Nachdem die Eingangsinformationen beschrieben und das definierte Ergebnis vorgegeben sind, findet die Strategiediskussion in mehreren Etappen statt. Je nach Komplexität des ausgewählten Arbeitsbereichs kann sich die Dauer der Modellableitung über mehrere Monate erstrecken. Die bei Wissenserhebungen unter Experten oft gefürchteten Widersprüche sind hier erwünscht. Sie erhöhen die Intensität der fachlichen Auseinandersetzung. Deren Ertrag schlägt sich in entsprechender Authentizität und Faktizität der Befragungsergebnisse nieder. Diese können dann in der abschließenden Arbeitsphase für den zur Diskussion stehenden Aufgabentyp zu einem allgemeingültigen Modell des Vorgehenswissens verdichtet werden.

Für das Erfragen von Erfahrungswissen und für das daraus abgeleitete Modellieren standardisierter Vorgehensweisen liegen diverse erprobte Softwareentwicklungen, wie z.B. die Moderationssoftware "next-moderator" von Prof. Peter Kruse vor.

erschienen in: "Digitale Trends. Erwartungen, Realität und Perspektiven", hrsg. vom Wirtschaftsrat der CDU, Landesverband Hamburg
November 2004

 
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