Was ist die Neue Ökonomie?

Eine Antwort in 20 Sätzen

Wolfgang Müller-Michaelis

  1. Mit dem Einstieg in die "New Economy" müssen die Gesetze des Wirtschaftslebens nicht neu geschrieben werden, denn die Gebote von Wirtschaftlichkeit und Gewinnerzielung unter Wahrung der Sozialpartnerschaft bleiben auch in der von Globalisierung und Digitalisierung bestimmten Neuen Ökonomie Richtschnur wirtschaftlichen Handelns.
  2. Die Neue Ökonomie ist nicht ohne weiteres mit den Start-Up-Unternehmen des Neuen Marktes gleichzusetzen; dort erleben zwar die epochemachenden Innovationen der Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK), die aus der Kombination von Halbleiter(Chip)-Technologie, Digitalisierung, Glasfaser-, Funk- und Satellitentechnik entwickelt wurde, die Feuertaufe ihrer ursprünglichen Anwendung, sie breiten sich aber in Windeseile auch auf die Unternehmen der traditionellen Wirtschaft aus, wo sie bereits in weiten Teilen die betrieblichen Prozesse durchdringen.
  3. Wer die Einsparpotenziale integrierter Informations- und Kommunikationssysteme sowie E-Business-Anwendungen in den einzelnen betrieblichen Abläufen nicht nutzt, kann dem Wettbewerb auf Dauer nicht standhalten und muss über kurz oder lang aus dem Markt ausscheiden.
  4. Das Neue an der Neuen Ökonomie sind nicht die Gesetze des Wirtschaftens, sondern die neuen Kräfte, die die wirtschaftliche Leistung hervorbringen, die neuen Prozesse der Leistungserstellung und die neuen Inhalte der Leistung.
  5. Sie ergeben sich daraus, dass die digitale Revolution aus der Verarbeitung der immateriellen Resource Wissen zu nicht-stofflichen Leistungen neue Formen wirtschaftlicher Wertschöpfung ermöglicht, die zusätzlich zur Verarbeitung von Rohstoffen zu materiellen Gütern, zum Handel mit diesen Gütern sowie zu den Dienstleistungen der "Alten Ökonomie" auf den Plan treten.
  6. Die geistig-dispositive Arbeit des Menschen, auch Wissensarbeit genannt, wird in Kombination mit der intelligenten IuK-Technik zum wichtigsten Produktionsfaktor des Wertschöpfungsprozesses.
  7. Die Multimedia-Branche (Medienwirtschaft, Musik- und Unterhaltungsindustrie) ist zum ersten großen Massenmarkt der IuK-Anwendungen aufgestiegen, weil die Wertschöpfung hier fast ausschließlich in der Verarbeitung nicht-stofflicher Bits zu den "Waren" des Informationszeitalters in Form von Texten, Bildern, Tönen und Daten besteht.
  8. Die Wachstumsmärkte der Zukunft werden neben Elektronik-, Computer- und Multimedia-Industrie jene Sektoren sein, in denen die Verschmelzung von Informationstechnologie und Telekommunikation verbunden über das Internet die Leistungsprozesse am intensivsten durchdringt.
  9. Dazu gehören zum einen die industrieorientieren forschungsintensiven und großrechnergesteuerten Bereiche der Gentechnik, Biochemie, Roboter-, Raumfahrt- und Medizintechnik, aber auch weiterhin Maschinenbau, Büromaschinen und Fahrzeugbau.
  10. Zum anderen sind es die computer- und internetaffinen neuen Dienstleistungen in den Bereichen Softwarewirtschaft, Internet-Serverleistungen, E-Commerce, Electronik Publishing, Verkehrsleitsysteme, Verwaltungstelematik, Bildungstelematik und Beratungswirtschaft.
  11. Durch die digitale Revolution gefördert bzw. erzwungen wird dem Bildungssektor eine Leitfunktion zufallen, indem die Privatisierungstendenzen im Hochschulbereich und in der berufsbegleitenden Weiterbildung das traditionell außer-ökonomische Bildungsangebot zunehmend in einen modernen Dienstleistungssektor der Wissensgesellschaft überführen werden.
  12. Die Neue Ökonomie ersetzt die alte nicht, sondern verschafft der Wirtschaft insgesamt neue Wachstumsspielräume; sie macht ein dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum jenseits der Grenzen von Rohstoffverfügbarkeit und ökologischer Belastung möglich und trägt auf diese Weise auch zur Lösung des Beschäftigungsproblems bei.
  13. Voraussetzung dafür, dass diese Wachstumschancen ausgeschöpft werden können, ist eine umfassende Reform der politischen Rahmenbedingungen.
  14. Fünf klassische Politikfelder stehen im Mittelpunkt der Reformbemühungen zur Anpassung von Wirtschaft und Gesellschaft an die veränderten Verhältnisse, die von Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Schere geprägt sind: Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Steuerreform, Alterssicherung, Gesundheitsreform und Bildungsreform.
  15. Die Bundesregierung ist bisher mit Steuerreform und Rentenreform (zweite Säule der kapitalgedeckten Alterssicherung) im Sinne der geforderten Reformziele aktiv geworden, allerdings nicht konsequent und durchgreifend genug.
  16. Bei der Deregulierung in der Arbeits- und Sozialgesetzgebung sind die Ansätze eher kontraproduktiv: die Ausweitung der Mitbestimmung ist das genaue Gegenteil von dem, was der Reformprozess erfordert.
  17. Der Einsatz der IT-Technologie in einem großrechnergesteuerten Dienstleistungs-Schecksystem zur Legalisierung von Niedriglohnarbeit und Transformation von Teilzeitarbeit in Vollzeiteinkommen in großem Maßstab bleibt durch Überregulierung des Arbeitsmarktes ungenutzt.
  18. Am empfindlichsten ist der Reformstau im Bildungssektor und im Gesundheitswesen, weil hier die Zeit davonläuft und es offenbar an Mut zur Umsetzung einsatzbereiter zukunftsweisender Konzepte mangelt.
  19. Wenn es nicht gelingt, in den fünf genannten Politikbereichen im Sinne der Neuen Sozialen Marktwirtschaft einen Durchbruch herbeizuführen, wird Deutschland im internationalen Wettbewerb zu Lasten von Einkommen und Beschäftigung weiter zurückfallen.
  20. Die traditionellen deutschen Standortvorteile in Forschung, Innovationsbereitschaft, Unternehmerkompetenz und Facharbeiterausbildung sollten nicht durch weiteres Hinauszögern dieser Reformen, die im engen Verbund miteinander anzugehen sind, aufs Spiel gesetzt werden.


© B-I-K Consulting
Februar 2001

 
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